BERINGIA: URALTE MIGRATION, DATENSAMMLUNGEN UND DIE GESTALT DER WISSENSCHAFT

Projektleitung: Dr. Brooke Penaloza-Patzak
Projektbeginn: November 2020
Projektende: Oktober 2023
Projektfinanzierung: FWF Schrödinger Stipendium  (Projektnummer: J4408-G)

 

Abstract:

 

Am schmalsten Punkt der Beringstraße beträgt die Distanz zwischen den Kontinenten Asien und Nordamerika nicht mehr als fünfundachtzig Kilometer. Diese Region, die heute Landmassen und Wasserflächen umfasst, von der aber angenommen wird, dass sie bis vor 12.000 Jahren von der Steppentundra überbrückt wurde, heißt Beringia. Mit Schwerpunkt auf den Überlappungen zwischen wissenschaftlicher Praxis und Erkenntnis analysiert das Projekt den Einfluss der Gesellschaft auf die Art, wie Wissenschaftler, die die frühe menschliche Migration über die Beringbrücke erforschten, von den 1880er Jahren bis heute ihre materiellen Beweise definiert und sich mit ihren auseinandergesetzt haben; zudem wertet es aus, welche Auswirkungen ihre Handlungsweise auf die Entwicklung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsmethoden hatte. Damit sollen drei Hauptfragen beantwortet werden: Aus welchen Datentypen setzen sich diese Sammlungen zusammen? Wie haben soziokulturelle Einstellungen die Zusammensetzung der Sammlungen und ihre Analyse geprägt? Und warum veränderten sich Datenpräferenzen und was ist daraus bezüglich der Beziehung zwischen Sammlungen und wissenschaftlicher Transformation zu schließen?
Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts beflügelten archäologische Indizien und die Einsicht, dass der östlichste Winkel des russischen Reichs nur eine anstrengende, aber machbare Kanufahrt über die Beringstraße von der nordwestlichsten Ecke von Nordamerika entfernt war, Spekulationen unter Forschern, dass Amerika von Asien aus über die Beringstraße bevölkert worden sei. In den 1880er Jahren strömte ein bunter Haufen von Forschern nach Beringia, wo sie die materiellen Beweisen vermuteten, die es ermöglichen würden, diese Theorie zu verifizieren. Proponenten der Theorie der Migration über Beringia gingen davon aus, dass die Analyse von natürlichem und menschengemachtem Material von beiden Seiten der Beringstraße die kulturellen und biologischen Beziehungen zwischen der alten und der neuen Welt erhellen könne, ebenso wie allgemeiner auch das Wesen der Ausbreitung der Menschen – eine Annahme, die eng an aktuelle Debatten über die Unterschiede zwischen Menschen, Einwanderung und Klimawandel anschließt.
Im frühen 20. Jahrhundert rückte eine neue Art von materiellem Beweis – das Genom – in den Fokus und bot eine weitere Möglichkeit, die Ausbreitung des Menschen zu erforschen. Sie stürzte Forscher, die sich mit Beringia befassten, noch tiefer in Debatten, diesmal bezüglich der unsicheren Beziehung zwischen umweltbedingten und biologisch bestimmten Eigenschaften und im Weiteren zwischen Natur- und Sozialwissenschaften. Im Laufe der vergangenen 150 Jahre haben sich die Disziplinen, Methoden und Beweismaterialien im Zusammenhang mit dieser Fragestellung verändert. Sammlung und physischer Vergleich von natürlichen, archäologischen oder ethnographischen Objekten ist historischer Genomanalyse und Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung gewichen, doch Beringia ist weiterhin ein Forschungsnexus von anhaltendem Interesse, der hartnäckige Kontroversen birgt, und heute finden Forscher neue Wege, aus alten Sammlungen Informationen zu gewinnen.
Über die vergangenen drei Jahrzehnte wurde die Frage der Beziehung zwischen Menschen und Dingen zum Gegenstand vermehrten Forschungsinteresses, wobei Wissenschaftler und ihre physischen sowie begrifflichen Gegenstände besonders dynamische Forschungszugänge bieten. Diese Forschung und ihre Ansätze stehen innerhalb eines transdisziplinären Werkkomplexes, ineinandergreifenden Feldern mit unterschiedlichen und doch komplementären Überlegungen und Methoden, unter anderem Migrationsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte und -soziologie oder Museumsethnologie. Dieses epochenübergreifende Projekt verknüpft die materiellen Beweisdaten und Methoden, die eine Reihe von Fallbeispielen aus unterschiedlichen disziplinären Kontexten entlang einer gemeinsamen Forschungsfrage auf dieselbe geographische Landschaft angewandt haben, und kombiniert dabei qualitative und quantitative Methoden, wobei es sich auf die Analyse einer Materialkombination aus musealen Objektsammlungen und Archiven, historischen und zeitgenössischen Schriften, Aufzeichnungen und Korrespondenzen sowie Interviews mit zeitgenössischen Forschern stützt.

 

 

SPIELRÄUME UNGARISCHER WIRTSCHAFTSPOLITIK ZWISCHEN AUSGLEICH UND EU-MITGLIEDSCHAFT

Projektleitung: Andrea Komlosy, Zoltán Tefner (Corvinus Universität Budapest)
Projektbeginn: April 2020 (Beginn verschoben)
Projektende Teilprojekt 1: Juni 2022
Projektfinanzierung: Aktion Österreich – Ungarn Projektnummer 104öu1
Zeitliche Untergliederung des Gesamtprojekts:

  • 1.   1867 Ausgleich im k.u.k. Imperium    Teilprojekt I
  • 2.   1918/19 Räterepublikanisches Intermezzo  
  • 3.   1920 Anpassung im Rumpfstaat    Teilprojekt II
  • 4.   1934 Vertrauen auf Deutsches Reich  
  • 5.   1945 Selbstvertrauen: Vertrauen auf den eigenen Innovationsgeist und Ressourcen Teilprojekt III
  • 6.   1948 Vertrauen auf Sowjetunion und RGW    Teilprojekt IV
  • 7.   1968 Vertrauen auf Marktsozialismus    Teilprojekt V
  • 8.   1990 Vertrauen auf Kapitalismus und Westorientierung    Teilprojekt VI
  • 9.   2004 Vertrauen auf Brüssel    Teilprojekt VII
  • 10. 2010 Selbstvertrauen?    Teilprojekt VIII

 

Fragestellungen:

Wie wurde in diesen Momenten nationale Kontrolle über wirtschaftliche Prozesse hergestellt?

  • Überblick über wirtschaftliche Veränderungen im Zeitraum
  • Wirtschaftspolitische Ziele und Maßnahmen
  • Interessensgegensätze und Debatten über Ziele und Maßnahmen
  • Spielräume, Erfolge und Grenzen wirtschaftspolitischer Regulierung

 

Teilprojekt I: 1867-1914: Ausgleich im k.u.k. Imperium

 

Abstract:

Die Untersuchung setzt mit der (teil-)staatlichen Unabhängigkeit ein, die im Zuge des Ausgleichs die Möglichkeit eröffnet hat, Wirtschaftspolitik aus ungarischer Perspektive zu betreiben und die Festlegung der ungarischen Wirtschaft als Agrarprovinz im Rahmen der Habsburgermonarchie zu überwinden.
Die Rahmenbedingungen des Ausgleichs von 1867 (Verfassung, Parlament, Regierung und regionale Verwaltungsstrukturen) eröffneten neue Spielräume für eine selbständige ungarische Wirtschaftspolitik.
Welche Maßnahmen wurden im Bereich der Agrar-, der Industrie-, der Infrastrukturpolitik in Hinblick auf Kapitalmarkt, Technologieförderung und Ausbildung gesetzt? Bei der Durchsicht der Maßnahmen steht nicht unmittelbar die ungarische Wirtschaftsgeschichte im Mittelpunkt, vielmehr wird nach den zugrunde liegenden wirtschaftspolitischen Zielsetzungen sowie den Spielräumen staatlicher Politik der jeweiligen Regierungen gefragt.
Unter diesen Fragestellungen werden Archivquellen in österreichischen und ungarischen Archiven befragt und die Fachliteratur in ungarischer, deutscher und englischer Sprache ausgewertet.

Datarev: Leading the first data revolution in European agriculture: farm accountancy data and their impact 1870-1945

Projektleitung: Dr. Federico D´Onofrio
Projektmanagement: Szilvia Steiner, B.Sc
Projektmitarbeiter*innen: N.N.  
Projektbeginn: September 2021
Projektende: August 2026
Projektfinanzierung: ECR – European Research Council (Projektnummer: 949722)

Abstract:


Lange bevor „Big Data“ in den 2010er Jahren mit „Datafication" und „High Precision Farming" die Landschaft eroberte, hatte zumindest eine weitere Datenrevolution in Europa stattgefunden. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Verbreitung der Buchführung unter den einfachen Bauern, stellt ein revolutionäres Phänomen dar, dessen Bedeutung und Ausmaß von Historikern unterschätzt wurde. Nachdem in den 1870er Jahren die Konkurrenz aus Übersee die europäischen Landwirte getroffen hatte, war die Verbreitung der Buchführungstechniken unter normalen europäischen Landwirten ein wichtiger Bestandteil des Aufschwungs. Die landwirtschaftlichen Buchhaltungsbüros, die Dank der Arbeit von Ökonomen und Agrargewerkschaften in Nord- und Mitteleuropa wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, waren von entscheidender Bedeutung, um mittlere und kleine Landwirte zu erreichen. Diese Büros fungierten als Beratungsagenturen für die Landwirte und halfen ihnen, effizienter zu arbeiten. Die Büros aggregierten aber auch Daten aus der Betriebsbuchhaltung einzelner Betriebe, um Benchmarks zu erstellen und für statistische Zwecke. Bauerngewerkschaften könnten daher Mikrodaten nutzen, um makroökonomische Fragen zu beleuchten und auf politische Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen Einfluss zu nehmen. Ein beeindruckendes  Beispiel von „Stakeholder-Statistiken". DATAREV untersucht die Verbreitung landwirtschaftlicher Buchführungsbüros in Kontinentaleuropa seit den 1870er Jahren und die Nutzung landwirtschaftlicher Buchführungsdaten durch staatliche und nichtstaatliche Akteure in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit seinen fünf Teilprojekten untersucht DATAREV verschiedene Aspekte der ersten Datenrevolution, ihre Akteure und ihre Folgen. Es untersucht, wie der wirtschaftliche und soziale Wandel durch Buchführungsdaten und Statistiken konzeptualisiert und gelenkt wurde und wie die besondere Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe in Europa der Buchführung Einschränkungen auferlegte (ganz im Gegensatz zu denen in der Industrie). Es hinterfragt die Rolle der Agency im „Datafication"-Prozess und untersucht die widersprüchlichen Ansprüche an die Daten. Schließlich wird herausgearbeitet, inwiefern die Daten der landwirtschaftlichen Buchführung bei der Neuordnung der „Governance“ der europäischen Landwirtschaft nach der Langen Depression eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Adelige Geschwister: Vermögensarrangements und soziale Konfigurationen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

Projektleitung: Margareth Lanzinger
Projektmitarbeiter*innen: Florian Andretsch, BA, MA und Claudia Rapberger, BA, MA  
Projektbeginn: Oktober 2021
Projektende: September 2024
Projektfinanzierung: FWF (Projektnummer P 34762-G)
Projekthomepage: https://noble-siblings.univie.ac.at/

Abstract:



Besitzungen an Grund und Boden machten einen beträchtlichen Teil des Vermögens und der Macht im frühneuzeitlichen Adel aus. Als ein besonders markantes Phänomen hat die verwandtschaftshistorische Forschung die Durchsetzung der Primogenitur herausgestellt. Das Projekt geht von der Annahme aus, dass Verwandtschaft als zentrales Beziehungsnetz fungiert hat und dass Transfers und Arrangements von Vermögen grundlegende Auswirkungen auf die familialen und verwandtschaftlichen Konfigurationen hatten. Unsere Ausgangs-Hypothese ist, dass es für das Verständnis dieses grundlegenden Prozesses notwendig ist, ein möglichst breites Ensemble an ehelichen, familialen und verwandtschaftlichen Vermögenstransfers und Vermögensarrangements in die Analyse einzubeziehen und dabei den Fokus auf die jeweiligen familialen und verwandtschaftlichen Konfigurationen zu legen. Das Projekt untersucht erstens, inwieweit Eheschließungen in der nahen Verwandtschaft die Konzentration von Besitz und Vermögen unterstützt haben. Zweitens setzt das Projekt Fideikommisse – die Primogenitur vorsahen – auf die Forschungsagenda als eine Institution, die Güterkomplexe über Generationen hinweg stabilisierte, für den österreichischen Raum sozial- und verwandtschaftshistorisch jedoch kaum erforscht sind. Beziehungen zwischen adeligen Geschwistern waren zwar von konkurrierenden Interessen geprägt; das Projekt konzentriert sich drittens jedoch auch auf Reziprozität, Kooperation, Aushandlungen und Interdependenzen. Ziel ist, vertiefte Einblicke in den Zusammenhang von Formen verwandtschaftlicher Ressourcenverteilung und Organisation zu geben. Geschwisterbeziehungen konstituieren dabei ein Schlüsselelement. Damit schließt das Projekt auch an aktuelle Debatten über die Herstellung und Perpetuierung sozialer Ungleichheit auf Grundlage von ererbtem Vermögen an.
Die Umsetzung erfolgt in zwei Teilprojekten: Das Teilprojekt von Florian Andretsch fragt nach dem Zusammenhang zwischen Vermögensverteilung, Vermögensarrangements und generationaler Verwandtschaftsorganisation auf Grundlage von Verträgen, Testamenten und Nachlassverhandlungen. Im Teilprojekt von Claudia Rapberger geht es um die Modi der Aus- und Umgestaltung von Geschwisterbeziehungen in Korrespondenzen im Spannungsfeld von Konkurrenz und Nähe mit dem Schwerpunkt auf Vermögensbelangen. Methodisch orientiert sich das Projekt an einem Konzept der sozialen Praxis, das von Handlungsrepertoires und Handlungsoptionen ausgeht, sowie an mikrohistorischen und historisch-anthropologischen Ansätzen. Quantitative und qualitative Methoden – einschließlich Ansätzen der Emotionengeschichte, der Briefforschung und der Situationsanalyse – werden miteinander in Beziehung gesetzt.

Vermögen als Medium der Herstellung von Verwandtschaftsräumen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert


Projektleitung: Margareth Lanzinger
Projektmitarbeiter*innen: Matthias Donabaum und Janine Maegraith  
Projektbeginn: August 2020
Projektende: August 2023
Projektfinanzierung: FWF (Projektnummer P 33348-G28)
Projekthomepage: kinshipspaces.univie.ac.at

Abstract:


Das vorangegangene Projekt basierte auf der Annahme, dass ein beträchtlicher Teil des Vermögens in frühneuzeitlichen europäischen Gesellschaften über Heirat und Erbe transferiert wurde. Erbrecht und Erbansprüche waren dabei eng mit Verwandtschaft verknüpft und begründeten – so unser Befund – wirkmächtige Achsen der Konkurrenz. Entsprechende Handlungsoptionen und deren Umsetzung in die Praxis hingen wesentlich von den jeweils vorherrschenden Ehegüter- und Erbmodellen und deren Zusammenspiel ab.
Im Nachfolgeprojekts arbeiten wir weiterhin mit der Hypothese, dass Vermögen als ein grundlegendes Medium fungiert hat, über das Verwandtschaftsräume definiert und konstruiert wurden. Verwandtschaftsräume werden in diesem Kontext als soziale Räume gefasst, die sich über Kommunikation und Interaktion, über Aushandlungsprozesse, Konkurrenz und Konflikte konstituiert und strukturiert haben. Auf welche Weise dies konkret erfolgt ist, darauf ist die zentrale Forschungsfrage des Projekts gerichtet. Um zu einem umfassenden Bild zu gelangen, müssen Vermögenstransfers und Vermögensarrangements unter Einbeziehung sozialer, generationaler und geschlechtsspezifischer Implikationen analysiert werden.
Aus Sicht des Projekts setzt sich Vermögen dabei nicht nur aus Grund und Boden und aus Geldwerten zusammen, sondern schließt Rechte und Ansprüche, die sich daraus ableiten ließen, ebenso ein wie Objekte, die als Wertspeicher oder Dinge des Alltags Verwendung fanden oder aber mit symbolischer Bedeutung aufgeladen waren. Das Nachfolgeprojekt erweitert das Konzept von Vermögen um die Frage nach Formen der Finanzierung von Liegenschaftskäufen, nach Zugang zu Kredit und Kreditwürdigkeit.
Das Projekt ist in mehreren derzeit breit debattierten Forschungsfeldern verankert: in der Historischen Verwandtschaftsforschung, der Geschlechtergeschichte, in der Materiellen Kulturforschung, der Konsumgeschichte, der Geschichte von Kreditbeziehungen sowie in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von Ungleichheit. Das heuristische Potenzial ist hoch einzuschätzen. Denn ein innovativer Aspekt des Nachfolgeprojekts ist das gezielte und systematische Verflechten dieser Felder, um zu einer integrierten Perspektive zu gelangen.
Das südliche Tirol bietet ein ideales Laboratorium für das Erreichen der Projektziele, insbesondere aufgrund des zahlenmäßig wie inhaltlich überaus umfangreichen Archivmaterials zu frühneuzeitlichen zivilrechtlichen Angelegenheiten. Das Nachfolgeprojekt erweitert den Vergleich von Rechtsräumen, indem Gebiete des heutigen Niederösterreich mit ein einbezogen werden, wo im Unterschied zu Tirol eheliche Gütergemeinschaft vorgeherrscht hat, was sich auf Verwandtschaftslogiken ausgewirkt haben dürfte.

Afro-Asiatische Netzwerke und ihr Einfluss auf panafrikanische Gesellschafts- und Entwicklungsmodelle (1950er und 1960er Jahre)

Dissertationsprojekt von: Lisa Hoppel
Betreuerin: Andrea Komlosy
Projektbeginn: August 2020
Projektende: Juli 2023
Projektfinanzierung: DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Abstract

Im Zuge der Dekolonisierungsprozesse verlagerten sich die Zentren des antikolonialen und antiimperialistischen Widerstands in den 1950er Jahren zunehmend in den Globalen Süden. Das politische Projekt der „Dritten Welt“ stellte die Schnittstelle von antikolonialen Befreiungskämpfen und Entwicklungsbestrebungen dar, welche eine multipolare Arena der Systemkonkurrenz hervorbrachte. Während die Afro-Asiatische Konferenz von Bandung 1955 die prominenteste Manifestation der zunehmend institutionalisierten Süd-Süd-Beziehungen darstellte, interagierten auch zahlreiche nichtstaatliche AkteurInnen vor und nach der Bandung-Konferenz über nationale, sprachliche und ideologische Grenzen hinweg. Neue Plattformen des Austausches ließen kritische Ideen und Praktiken zirkulieren, um koloniale Abhängigkeit und globale Ungleichheit zu überwinden und darüber hinaus eine gerechtere soziale Ordnung zu etablieren.
Vor diesem Hintergrund wurden neue Konzepte von Raum, Identität, Kultur und Gesellschaft etabliert und erprobt, welche die bestehenden und oftmals hegemonialen Wahrnehmungen von Nation und internationaler Ordnung herausforderten. Auch der antikoloniale Panafrikanismus brachte politische Alternativen hervor. Die Bestrebung nach einer kontinentalen Einheit Afrikas diente nicht nur als Triebkraft antikolonialer Befreiung, sondern befeuerte auch Visionen allumfassender Unabhängigkeit, die oftmals über die Erlangung politischer Souveränität einzelner Staaten hinausgingen. Sie richteten sich damit explizit gegen (neo)koloniale und imperialistische Interventionen und trugen zur Formulierung alternativer Entwicklungswege bei, die auf unterschiedlichen Vorstellungen von „self-reliance“, „Afrikanischem Sozialismus“ und regionaler Integration basierten.  
Es ist das Ziel des Projekts, die Herausbildung panafrikanischer Konzepte von Unabhängigkeit, Gesellschaft und Entwicklung durch die Linse Afro-Asiatischer Netzwerke in den 1950er und 1960er Jahre aus globalhistorischer Perspektive zu analysieren. Dabei wird die These verfolgt, dass Vorstellungen postkolonialer Staatlichkeit, die nicht an die Idee des Nationalstaates analog zum europäischen Modell gebunden waren, auch mit Alternativen zu vorherrschenden Entwicklungsmodellen einhergingen. Im Zentrum der Dissertation stehen afrikanische AkteurInnen, die in der „Asian Socialist Conference“ (Rangoon) und der „Afro-Asian People’s Solidarity Organization“ (Kairo) aktiv waren und panafrikanische Initiativen in Ghana, Algerien und Tansania prägten. Dabei wird gefragt, wie die afrikanischen antikolonialen AktivistInnen in den Afro-Asiatischen Institutionen eingebunden waren; welche Ideen, Konzepte und Diskurse zu postkolonialer Staatlichkeit, Gesellschaft und Entwicklung in diesen Netzwerken zirkulierten; und wie sich diese in panafrikanischen Gesellschafts- und Entwicklungsmodellen niederschlugen. Basierend auf einem breiten Korpus von Primärquellen, wie Protokolle, Programme, Korrespondenzen und Memoiren, soll die Untersuchung konkreter AkteurInnen, ihrer Handlungen und Überlegungen dazu beitragen, die Pluralität der Interaktionen, Diskurse und Praktiken in der sogenannten „Bandung Ära“ (1955-1975) zu veranschaulichen.

Pornographie in Österreich: Politische Debatten und mediale Diskussionen während der langen Sexuellen Revolution, 1950er- bis frühe 1980er-Jahre

Dissertationsprojekt von: Paul M. Horntrich
Betreuer: Franz X. Eder
Projektbeginn: Oktober 2019
Projektende: September 2022
Projektfinanzierung: Universität Wien (uni:docs Fellowship)

Abstract

Von den 1950er- bis zu den 1980er-Jahren kam es in vielen westlichen Ländern zu einer zunehmenden Sexualisierung der Medienlandschaft. Auch pornographische Medien verbreiteten sich rasant und fanden vermehrt Eingang in die Alltagskultur, so dass die Zeitgenossen von einem „Porno-Boom“ sprachen. In diesem Zusammenhang entschlossen sich auch zahlreiche Länder, Pornographie zu legalisieren. Vorreiter waren hierbei die skandinavischen Länder, weitere Länder folgten diesem Beispiel und legalisierten Pornographie oder reformierten die entsprechenden Gesetze. In Österreich war der rechtliche Umgang mit Pornographie weniger liberal, erst 1977 kam es zu einer teilweisen Legalisierung. Das entsprechende Pornographie-Gesetz gilt sogar bis heute, was Österreich zu einer europäischen Ausnahme macht. Der „Porno-Boom“ wurde von kontroversen Debatten in Politik und Medien begleitet, an denen sich die unterschiedlichsten politischen Lager und weltanschaulichen Gruppierungen beteiligten. In der historischen Forschung ist die Rolle von Pornographie während der Sexuellen Revolution bislang noch wenig erforscht. Besonders die österreichische Situation stellt ein Desiderat der internationalen Forschung dar. Ziel des Projektes ist es, die politischen Debatten und medialen Diskussionen zum Thema Pornographie während der langen Sexuellen Revolution zu erforschen. Mit Methoden der Kritischen Diskursanalyse werden Nationalratsprotokolle des österreichischen Parlaments, Beiträge in diversen Zeitungen und Zeitschriften sowie Publikationen von Interessensgruppen analysiert. Ziel ist es, die diskursive Konstruktion des Phänomens Pornographie in politischen und medialen Diskursen zu erforschen. Der gewählte methodische Ansatz erlaubt es, das zeitgenössische Verständnis von Pornographie sowie seinen historischen Wandel zu rekonstruieren. Die Studie wird somit einen wichtigen Beitrag zur internationalen Sexualitätsgeschichtsschreibung nach 1945 leisten und zum besseren Verständnis der Sexuellen Revolution in Österreich beitragen.

Die Radioberichterstattung der United States Information Agency (USIA) für Österreich 1953-1979: US-amerikanische Selbst- und österreichische Außenansichten

Projektleitung: Karin Moser
Projektbeginn: März 2019
Projektende: März 2021
Projektfinanzierung: Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank

Projektnummer: P 18100

Abstract:

Für die US-Außenpolitik hatte der Rundfunk im Sinne von „Hearing is Believing“ eine wichtige Funktion in der Informationspolitik. 1953 wurde die United States Information Agency (USIA) gegründet, deren Aufgabe darin bestand, die Öffentlichkeit außerhalb der Vereinigten Staaten durch Pressearbeit, Kultur- und Austauschprogramme für die US-Politik und ihre Anliegen zu gewinnen. Die Radiosendungen der „Voice of America“ spielten dabei eine wichtige Rolle. Im Zuge des Projektes wird erstmals ein Bestand von ca. 4.900 USIA-Sendungen für Österreich untersucht. Bislang konnte die Rundfunkforschung (v.a. in Österreich) fast ausschließlich auf gedruckte Quellen zurückgreifen. Im beantragten Projekt werden nun erstmals der Transfer und die Ausgestaltung amerikanischer Selbst- und österreichischer Fremdbilder in den Radioberichten der USIA analysiert. Nach einer systematischen Erfassung der Tonquellen in einer Datenbank, werden Basisdaten und Themenschwerpunkte quantitativ erhoben und mit dem jeweiligen US-Selbst- bzw. österreichischen Fremdbild in Verbindung gesetzt. 150 Sendungen werden einer qualitativen Detailanalyse unterzogen, wobei Argumentationsmuster und wiederkehrende Diskurse untersucht werden. Ergänzend werden Quellen aus dem Österreichischen Staatsarchiv, dem „Dokumentationsarchiv Funk“, Presseberichte sowie Nachlässe herangezogen. Interviews mit einstigen Rundfunkmitarbeiter*innen sind geplant.

Abstract:

Corresponding to the US foreign policy broadcasting played an important role in information policy; the general principle was „Hearing is Believing”. In 1953, the United States Information Agency (USIA) was founded. USIA was intended to convince the public outside the USA of US policy and issues by public relations, cultural and exchange programmes. Within this policy radio reports of the “Voice of America” had important significance. Within the project for the first time a comprehensive stock of US radio reports (approx. 4.900 sources) for Austria will be analysed. Research on broadcasting (especially in Austria) so far primarily relied on printed sources. In the context of the applied-for project the transfer and the design of US American self-perception and Austrian outside perception in USIA radio reports will be explored. In the beginning all audio sources will be systematically recorded. Afterwards the collected basic data and the identified main topics will be evaluated and related to the presented US American self-perception and Austrian outside perception. In a second step a selection of 150 radio broadcasts will be analysed in detail, whereby recurring argumentation patterns and discourses are in focus. Additionally, records of the Austrian State Archive, of the so called “Dokumentationsarchiv Funk”, press reports and estate materials concerning former broadcasting staff members will be included in the study.

 

 

Ko-Produktion und Gebrauch von Identitätsdokumenten. Habsburgermonarchie/Österreich ca. 1850 bis 1938.

Projektleiterin: Sigrid Wadauer
Projektbeginn: September 2019
Projektende: September 2023
Projektfinanzierung: FWF (P 32226-G29)

Abstract:

Seit dem 19. Jahrhundert veränderte sich das Verhältnis von Personen und Staat drastisch. Staatliche Politik involvierte sich immer mehr in verschiedenste Belange des Lebens, die Frequenz der Interaktionen mit Behörden stieg. Mit neuen sozialen und politischen Rechten und Pflichten, mit Kriegen und politischen Umbrüchen gewann Staatszugehörigkeit an Bedeutung. Zugleich entstanden neue Möglichkeiten und Notwendigkeiten staatlicher Verwaltung, Personen zu erfassen und eine offizielle Identität zu dokumentieren. Techniken und Praktiken des Identifizierens und Registrierens von Individuen wurden in der Forschung dementsprechend bisher primär als Elemente wissensbasierter Gouvernementalität, als eine Frage von (National-)Staaten, ihrer Bürokratie, Politik und Migrationskontrollen untersucht. An der Entstehung, Entwicklung und an den konkreten Praktiken konnten allerdings neben staatlichen Behörden noch eine Reihe anderer Parteien beteiligt sein. Identifizieren und Registrieren war mit vielfältigen Interessen, mit Möglichkeiten wie mit Zwängen verbunden. Es finden sich im internationalen Vergleich sehr unterschiedliche Kulturen des Identifizierens.
Das Projekt untersucht die Geschichte von Identifizierungs- und Registrierungspraktiken in der Habsburgermonarchie/Österreich von ca. 1850 bis 1938 und stellt dabei in den Mittelpunkt, wie Personen ihre offizielle Identität(sdokumente) in Konflikt und Konsens mitproduzierten und verwendeten. Es erforscht, was es bedeutete, identifiziert und registriert zu werden (oder nicht). Es untersucht Auseinandersetzungen über Relevanz und Plausibilität von Identitätsdokumenten und geht der Frage nach, wie die beteiligten Parteien dabei mit dem Fehlen oder der Ungenauigkeit solcher Dokumente umgingen. Identitäten und Zugehörigkeiten werden als multidimensional begriffen, die vielfältigen Variationen und Unterschiede in Hinblick auf persönliche Eigenschaften, sozialen und rechtlichen Status, Verhaltensweisen, Argumente untersucht, verschiedene Kontexte und Konstellationen in und außerhalb von Ämtern berücksichtigt.  Einen Ausgangspunkt stellen Kontinuitäten und Veränderungen im System der gebräuchlichen Dokumente dar, im Design, in der Verbreitung und der wechselseitigen Bezüge der Dokumente. Ein Fokus liegt auf weit verbreiteten, aber bislang kaum untersuchten Identitätsdokumenten wie Arbeits- und Dienstbotenbüchern und Heimatscheinen. Die mit der Erzeugung und dem Gebrauch solcher Dokumente einhergehenden Interaktionen manifestierten Möglichkeiten, Erfahrungen und Erwartungen der involvierten Parteien sowie Imaginationen des Staates. Die Untersuchung eines größeren Zeitraums erlaubt, die Effekte von Sozialpolitik, Krisen und politischen Veränderungen auf solche Interaktionen zu reflektieren. Das Projekt verwendet ein breites Spektrum an Quellen, insbesondere administrative Fallakten und autobiographische Texte, es kombiniert qualitative und quantitative Methoden.

Verflechtungen zwischen der DDR und Cuba: Mobilität, Austauschbeziehungen und Kreisläufe innerhalb des Rats für Gemeinsame Wirtschaftshilfe (RGW)

Projektleitung: Berthold Unfried 
Projektbeginn: Dezember 2019
Projektende: November 2022
Projektfinanzierung: FWF / Austrian Science Fund, Wien

Abstract:

Gegenstand dieses Projekts ist eine Achse der internationalen Geschichte des sozialistischen Weltsystems: die wirtschaftlichen und personellen Verflechtungen zwischen der DDR und Cuba im Rahmen des RGW. Diese Verflechtungen sollen auf der Ebene wirtschaftlicher Austauschbeziehungen und auf der Ebene der Mobilität von Expert/inn/en und Berater/inne/n sowie von Student/inn/en untersucht werden.
Ziele des Projekts sind:
- zu untersuchen, wie diese Austauschbeziehungen Kreisläufe von Gütern und Personen ausbildeten, Verflechtungen, die das sozialistische Weltsystem zusammenhielten, oder wo sie dadurch, dass sie Konflikte und nationale Reaktionen auslösten, zu wachsenden Disparitäten und zu der Desintegration des RGW beitrugen.
- Funktionsweisen dieses RGW - Migrationssystems zu sondieren:
Wer waren die Hauptakteure und die Strukturen dieses Migrationssystems? Was brachte die temporären Migrant/inn/en in Bewegung und wie wurden sie durch diese Mobilität beeinflusst? Wo war die Gegenseitigkeit der Interessen und worin lag der von der DDR geltend gemachte "gegenseitige Vorteil" in diesen Beziehungen? Was waren die Interessen der institutionellen Akteure? Was waren die von den Staaten gesetzten institutionellen Rahmenbedingungen für diese Formen temporärer Migration und wie handelten die Individuen in diesem Rahmen? 
Zeitlicher Rahmen ist die Epoche der Integration Cubas in die wirtschaftliche Integrationsstruktur der sozialistischen Staatengemeinschaft, die ihren Mitgliedern aus Asien und Lateinamerika spezielle Instrumente wirtschaftlicher Angleichung bot. Eckpunkte bilden die Aufnahme Cubas in den RGW nach dem Scheitern eigenständiger kubanischer wirtschaftlicher Entwicklungsversuche Anfang der 1970er Jahre und der Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems.
In dieser Epoche spielte Cuba als Partner im RGW und als Akteur "internationalistischer" Interventionen in Afrika und Lateinamerika die Rolle einer Drehscheibe zwischen dem europäischen Zentrum des sozialistischen Weltsystems und seiner Peripherie in Asien, Afrika und Lateinamerika. Es ist eine Hypothese des Projekts, dass die Mobilität von Beratern und aller Arten von Entwicklungsarbeiter/inne/n aus den europäischen RGW-Ländern nach Cuba, von kubanischen Student/inn/en nach Europa, von kubanischen Beratern und Entwicklungsarbeiter/inne/n ("Internacionalistas") nach Afrika, Asien und Lateinamerika, sowie die Mobilität von Student/inn/en von dort nach Cuba Sphären der Kommunikation innerhalb des sozialistischen Weltsystems bildeten. Das Projekt untersucht auch kubanisch-ostdeutsche Dreieckskooperationen in Afrika am Beispiel Angolas. Durch den Blick auf den RGW als eine globale und nicht nur europäische Entwicklungsorganisation und als System temporärer Migration betritt das Projekt neues Forschungsgebiet.
Hauptmethoden sind die Analyse von Archivmaterial, sowie  semi-strukturierte lebensgeschichtliche Interviews mit personellen Akteuren aus der DDR und Cuba.

Trans-Continental circulations within the Council of Mutual Economic Assistance. The example of labour mobility between Cuba and the GDR (1975-1990)

Projektleitung: Berthold Unfried 
Projektbeginn: Juli 2018
Projektende: November 2019
Projektfinanzierung: Gerda Henkel-Stiftung, Düsseldorf

Abstract:

This project is to explore the inter-continental extension of the Council of Mutual Economic Assistance (CMEA) taking the example of personal mobility between the GDR and Cuba. The focus is on the contract labour programme between these two CMEA countries, in some aspects comparable to the West German Gastarbeiter programme. Contract labour mobility is to be approached as a strand of inter-continental mobilities within the CMEA which linked its European center to its extra-European periphery. In the spirit of the entanglement-line in the field of global history, this project will examine the involvement of the East German and Cuban actors in reciprocal relations and the mutual interests expressed in these relations. This approach embedding the subject in broader perspectives shall make the topic compatible for discussion with migration and development studies. Methods of research are the analysis of archival material, particularly the abundant GDR archives and the archives of the state security both in Berlin, Cuban archival material, and of autobiographical documents, as well as semi-structured narrative interviews with individual actors.

Vermögen als Medium der Herstellung von Verwandtschaftsräumen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

Projektleitung: Margareth Lanzinger  
Projektmitarbeiter*innen: Janine Maegraith, Birgit Heinzle (März 2017-September 2017), Johannes Kaska (ab Oktober 2017)
Projektbeginn: September 2016
Projektende: Februar 2020
Projektfinanzierung: FWF (Projektnummer (P 29394-G28)

Projekthomepage: http://kinshipspaces.univie.ac.at/

Abstract:

Ausgangspunkt des Projekts ist das Faktum, dass in den europäischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit der Großteil des Vermögens über Heirat und Vererbung transferiert und in Besitz genommen wurde. Erbrechte und Erbansprüche waren eng mit Verwandtschaft verkoppelt. Zugleich waren darin zentrale Konkurrenzachsen angelegt. Je nach Ehegüter- und Erbmodell unterschiedlich gestalteten sich Handlungsoptionen und Praxis im Umgang damit. Daran anknüpfend und weiterführend ist die Grundthese des Projekts, dass Vermögen als wesentliches Medium der Konstruktion von Verwandtschaftsräumen fungiert hat. Verwandtschaftsräume sind im thematischen Zusammenhang als soziale Räume definiert, die über Kommunikation und Interaktion, über Prozesse des Aushandelns, über Erinnerung, aber auch über Konkurrenz und Konflikte hergestellt wurden. Auf welche Art und Weise dies erfolgte, ist die Kernfrage des Projekts. Umgesetzt in die Forschungspraxis erfordert dies, Vermögenstransfers und -arrangements hinsichtlich ihrer sozialen und ökonomischen, ihrer intergenerationalen und geschlechtsspezifischen Implikationen zu analysieren. Vermögen umfasst in diesem Kontext nicht nur Liegenschaften und Geld, sondern auch davon abgeleitete Rechte und Ansprüche sowie Dinge, die als Wertspeicher wirkten konnten, symbolisch bedeutsam waren oder im täglichen Gebrauch standen.
Das Projektvorhaben inseriert sich damit in mehrere, aktuell breit debattierte Forschungsfelder: in die Historische Verwandtschaftsforschung, in die Geschlechtergeschichte der Ehegüter- und Erbpraxis, in die Materielle Kultur- und in die Konsumforschung und greift auch Fragen sozialer Ungleichheit auf. Ein innovativer Aspekt des geplanten Projekts ist eine gezielte und systematische Verflechtung dieser Felder, deren heuristisches Potenzial hoch einzuschätzen ist.
Das ideale Laboratorium für die Umsetzung der Projektziele ist der Raum des südlichen Tirol einschließlich des heutigen Trentino: Denn hier trafen 'romanisch' und 'germanisch' geprägte Rechtskulturen zusammen und überlagerten sich. Dieses Territorium ist zudem besonders reich an vermögensrelevanten Quellenbeständen (Notariasakten, Verfachbücher). Rechtskodifikationen datieren aus dem 16. Jahrhundert und hatten auch schon Vorläufer im 13. Jahrhundert.

Prices and Wages in Salzburg and Vienna: c. 1450–1850 / Preise und Löhne in Salzburg und Wien, 1450–1850

Projektleitung: Reinhold Reith (Universität Salzburg) / Thomas Ertl
Projektmitarbeiter: Andreas Zechner (Universität Salzburg), Michael Adelsberger
Projektbeginn: August 2017
Projektende: Juli 2020
Projektfinanzierung: FWF (Projektnummer P 30241-G16)

Abstract:

The proposed project takes a comparative and critical perspective on prices and wages in Salzburg and Vienna between 1450 and 1850: The study of prices and wages (as the cost of labor)—those key data of economic development—is a fundamental task of economic and social history. In the currently discussed “great divergence,” for instance, real wages since 1600 in 16 European cities are used as support for the assumed economic and social advancement of the ‘Northwest’ over the ‘rest.’ Yet it evidences that the current state of real-wage analysis suffers from a relative scarcity of Central European data and lacks adequate consideration about their quality.
During the 1930s the International Scientific Committee on Price History worked through serial sources in many European states and cities and evaluated long-running series with the goal of developing a European perspective on the “standard of living” spanning time and space. Whereas more recent investigations of some nations do exist, in the case of Austria the data collected during the 1930s still constitute the state of the art; and since the emigration of Alfred F. Pribram extensions of these investigations have not been released with the same intensity. The aims of our research project are: firstly, apart from improving the quality of existing data samples (Vienna, Klosterneuburg), to collect new data (Salzburg) and secondly, to design on this basis—considering the existing critique on approaches in previous research—consumer baskets and to arrive at estimates for real wages. Toward this end, the account books of almshouses for the care of the poor and elderly in Vienna, Klosterneuburg and Salzburg, will be consulted, from which a long series of prices and wages can be gathered extending over three centuries. The focus will be on two East Alpine regions or cities: Vienna, as a growing court capital and highly integrated in the market, supplied not least by trade along the Danube; and Salzburg, as a medium-sized European town and the seat of a small prince-bishopric dependent on its surrounding regions. The goal is: on one hand, to make possible the compilation of wage and price lists—from a European perspective—for regions of Europe that have hitherto hardly been taken into account; on the other hand, from such records to choose an optimal number of pertinent goods to assemble a consumer basket that reveals changes over time. With reference to newer research and the debate on basic wages, effective earnings, wage in kind (esp. board and allowances), options for—or extent of—self-sufficiency, our ambition is to view prices in high resolution, along with their volatility, from a social and economic perspective, in order to obtain a more accurate assessment of the standard of living.

Doktoratskolleg Galizien (Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe)

Projektleitung: Christoph Augustynowicz (Institut für osteuropäische Geschichte)
Faculty Member: Andrea Komlosy
Projektbeginn: 1. November 2015
Projektende: 31. Oktober 2018
Projektfinanzierung: FWF
Projekthomepage: http://dk-galizien.univie.ac.at/

Abstract:

Das Doktoratskolleg (DK) "Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe" befasst sich mit den interdependenten Kulturen, Literaturen, Sprachen, Religionen, ökonomien, ethnischen und sozialen Gruppen des österreichischen Kronlandes Galizien und Lodomerien von seiner Inkorporation in das Habsburger Reich im Jahre 1772 bis zum Jahre 1918 und mit dem multikulturellen Erbe Galiziens in Polen, der Ukraine und österreich sowie in der Emigration bis zur Gegenwart.

In den letzten Jahrzehnten ist das österreichische Galizien zu einem beliebten Objekt des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses in Österreich (besonders in Wien) und anderen Ländern geworden. Allerdings hat sich die Forschung bisher weitgehend auf den isolierten Rahmen der einzelnen Disziplinen beschränkt. Der Multikulturalität der Region ist in Germanistik, Slavistik, Judaistik und den nationalen Historiographien nicht genügend Rechnung getragen worden. Das DK ist demgegenüber multidisziplinär ausgerichtet und kombiniert Ansätze der Literatur-, Sprach- und Geschichtswissenschaft mit den integrativen Theorien der neueren Kulturwissenschaften. Diese Transdisziplinarität wird sowohl für die einzelnen Disziplinen wie für eine Gesamtschau der historischen Region und ihres Erbes neue Erkenntnisse bringen.

Das DK ist multidisziplinär ausgerichtet und kombiniert Ansätze der Literatur-, Sprach-, Geschichts- und Politikwissenschaft mit den integrativen Theorien der neueren Kulturwissenschaften. Diese Transdisziplinarität wird sowohl für die einzelnen Disziplinen wie für eine Gesamtschau der historischen Region und ihres Erbes neue Erkenntnisse bringen.

Am DK beteiligt sind in der vierten Förderperiode Geschichte (Christoph Augustynowicz, Andrea Komlosy, Kerstin S. Jobst und Philipp Ther), Politikwissenschaft (Dieter Segert), Sozialanthropologie (Tatjana Thelen) und Slawistik (Alois Woldan).
Die Zusammenarbeit zwischen UniversitätslehrerInnen und KollegiatInnen verschiedener Disziplinen hat synergetische Effekte  und verstärkt die an der Universität Wien bestehenden Forschungsschwerpunkte.

Österreichische Staatsbedienstete und deren standesgemäße Lebensführung (1918 – 1940)

Projektleitung: Therese Garstenauer
Projektbeginn: Jänner 2017
Projektende: Dezember 2022
Projektfinanzierung: FWF (Elise-Richter-Programm, Projektnummer: V 539-G28)
Projekthomepage: http://homepage.univie.ac.at/therese.garstenauer

Abstract:

Über Beamte in der Habsburgermonarchie wurde literarisch und wissenschaftlich viel geschrieben, haben sie doch nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Kultur dieses Staates geprägt. Ihr Schicksal nach 1918 wurde bisher aber nur wenig, vor allem im Hinblick auf Spitzenbeamte erforscht. In diesem Projekt geht es um die Rolle der Staatsangestellten als vielfältige soziale und professionelle Gruppe in den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen vom Ende der Monarchie bis zur Eingliederung der ehemals österreichischen Verwaltung in die des Deutschen Reiches.
Durch ihr spezielles Anstellungsverhältnis repräsentierten sie den Staat, der zugleich ihr Arbeitgeber war. Sie waren verpflichtet, Ihre Dienstpflicht zu erfüllen und zudem im Dienst wie im Privatleben sich so zu verhalten, dass das Ansehen des Staates nicht beeinträchtigt werde. Dafür erhielten sie vom Staat ein angemessenes Einkommen für sich und ihre Angehörigen, eine lebenslange Anstellung sowie Anspruch auf eine Versorgung im Alter. Dieses Verhältnis kam in Zeiten von hoher Inflation und Beamtenabbau zu Zwecken der Sanierung des Staates, aus dem Gleichgewicht.
Die zentrale Forschungsfrage ist: wie hat sich die Lebensführung der Staatsangestellten in der untersuchten Zeit in einer Weise verändert, die für das Standesbewusstsein der sozialen Gruppe, und damit auch für das allgemeine Vertrauen in staatliche Institutionen und die Demokratie abträglich war. Dies wird anhand des zentralen Konzepts der standesgemäßen Lebensführung (Max Weber) untersucht. Darunter wird verstanden, wie die Staatsangestellten ihr Standesbewusstsein in die Praxis umsetzten. Dies wird in Verbindung mit verschiedenen Aspekten der Verwaltungsforschung – Geschichte, Repräsentativität, Politisierung, Öffentliche Meinung und Reform – erforscht.
Es wird ein kollektivbiographisches soziales Portrait erstellt und die Lebensführung anhand von normalen und gebrochenen Biographien und Karrieren ebenso wie anhand von Normübertretungen, wie sie in Disziplinarakten abgehandelt werden, erforscht. Letztere stellen eine besonders spannende Quelle dar, weil in ihnen Verhandlungen über die Grenzen von Un/Anständigkeit dokumentiert werden. Die öffentliche Meinung über Staatsbediensteten wird untersucht und mit Selbstbildern von Staatsbediensteten anhand von Beamtenzeitungen und Egodokumenten kontrastiert. Dafür kommen statistische und textanalytische Methoden der digital humanities zum Einsatz. Weiters wird das politische Engagement in Organisationen und Interessensvertretungen der 1920er und 1930er Jahre, bis zu deren Verbot bzw. Vereinheitlichung im Ständestaat ab 1934 erforscht. Eine wesentliche Forschungslücke schließt auch eine Vollerhebung der Fälle von nationalsozialistischen Säuberungen aus politischen oder rassistischen Gründen, infolge derer Staatsbedienstete entlassen, pensioniert oder versetzt wurden.

Polyamorie in medialer, sozialer und Identitätsperspektive

Projektleitung: Franz X. Eder
Projektmitarbeiter: Stefan F. Ossmann
Projektbeginn: Februar 2016
Projektende: August 2019
Projektfinanzierung: FWF (Einzelprojekt, Projektnummer: P 28680)
Projekthomepage: http://polyamorie.univie.ac.at/

Abstract:

Inhalt des Forschungsvorhabens: „Vater-Mutter-Kind“. Was manchen von uns an ein Spiel aus unserer Kindheit erinnert, ist eine spezifische Beziehungs- und Gesellschaftsnorm, die in den vergangenen 50 Jahren massiven Veränderungen unterworfen war und immer noch ist. Gleichgeschlechtliche Beziehungen wurden langsam aber stetig akzeptiert. Zusätzlich erhielten weitere Formen sexueller Orientierung und Identitäten (Bi und Transgender) öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung. Was diese Konzepte/Identitäten (zusammengefasst unter dem englischsprachigen Akronym „LGBT“) mit „traditioneller“ Orientierung gemeinsam haben, sind die Beziehungsausprägungen: Sowohl Sexualität als auch emotionale Liebe wird nur mit einer spezifischen Person praktiziert/geteilt. Vor ungefähr 15 Jahren fand ein weiterer Begriff, der diese bestehende Strukturen aufbrach, Eingang in die wissenschaftliche Diskussion: Polyamorie – sexuelle und emotionale Mehrfachbeziehungen unter dem Wissen aller Beteiligten.

Hypothesen: Noch nicht umfassend erforscht aus Sicht der Betroffenen und deswegen untersucht werden sollen Fragen nach der Selbstwahrnehmung (ist polyamorös sein eine sexuelle Orientierung, eine Form von Identität, eine intime Handlung, oder etwas ganz anderes?); was ist auf emotionaler und sexueller Ebene passiert, bevor es zum Poly-Outing kam („Liebes- und Sexualhistorie“); wie reagiert das soziale Umfeld auf diese Form der Beziehung (Familie, FreundInnen, ArbeitskollegInnen); wie ausgeprägt ist der Wunsch nach rechtlicher Anerkennung in Form von eingetragenen PartnerInnenschaften oder Ehe(n) (von Relevanz zum Beispiel bei Familiengründung, Versicherungsangelegenheiten, Pensionsansprüchen, Erbrecht etc.); und wäre Anerkennung durch kirchliche Institutionen (z.B. eine kirchliche Trauung zwischen drei Personen) von Bedeutung? Parallel dazu hinaus wird untersucht, wie diese Aspekte in den Medien dargestellt werden, und welches Bild in der Öffentlichkeit vermittelt wird. Schlussendlich soll geklärt werden, ob die Eigenwahrnehmung polyamorös lebender Personen der medialen Fremddarstellung wider- oder entspricht.

Methoden: Geographischer Schwerpunkt der Untersuchung ist Österreich. Im ersten Schritt werden 30 bis 35 Personen, die in polyamorösen Beziehungen in und um Wien leben, befragt (Durchführung von narrativen autobiographischen Interviews). Im zweiten Schritt werden ungefähr 150 deutschsprachige Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, die seit dem Jahr 2007 in Österreich erhältlich waren und das Schlagwort Polyamorie enthalten, analysiert und anhand einer sozialwissenschaftlichen Methode (qualitative Inhaltsanalyse) ausgewertet.

Was ist neu und besonders: Bisher wurde vor allem der anglo-amerikanische Raum untersucht; nur ganz wenige Erhebungen fanden im und über den deutschsprachigen Raum statt. Dem möglichen Wunsch nach kirchlicher Anerkennung wurde bis jetzt nie nachgegangen; darüber hinaus gibt es nur wenige Untersuchungen zum Bedürfnis rechtlicher Anerkennung. Die Frage nach polyamor sein als sexuelle Orientierung wurde bis jetzt in der Form an die Poly-Gemeinschaft nicht gestellt, und diese Antworten könnten den Diskurs um eine Frage erweitern, die weit über die akademische Diskussion hinausgeht: Sind polyamorös lebende Personen eine sexuelle Minderheit und braucht das LGBT-Akronym daher eine Erweiterung um ein „P“ für Polyamorie?

Abstract:

Content of research project: “Father-mother-child”. What some of us reminds on a childhood game is a specific version of relationship and society norm that has within the last 50 years been and still is subject of significant change. Same-sex relationships have slowly but constantly been accepted. In addition, further forms of sexual orientation and gender identity (bi and transgender) gained public visibility and acceptance. What these concepts/identities (subsumed by the acronym “LGBT”) have in common (along with so called “straight” people) are relationship characteristics: Sexuality and emotional love is only shared with one specific person. About 15 years ago an additional term hit the academic stage: Polyamory – multiple intimate and sexual relationships with informed and consensual partners.

Hypothesis: What so far have not sufficiently been asked within the community are questions on self-perception (is being poly a form of sexual orientation, a form of identity, or an intimate practice, or something completely different?); what did happen in ones emotional and sexual history that he/she claims to be polyamorous; how does the social environment (family, friends, work colleagues) react on that kind of relationships; is there a demand for legal recognition in form of registered partnerships or marriage (relevant for example for founding families, insurance issues, pension schemes, inheritance law, etc.), and is recognition by religious institutions an issue? What moreover will be investigated is how the media illustrates those aspects and therefore creates opinion for the wider public, leading to the key question if the inside view matches or clashes with the media representation.

Methods: Regional focus of the research project is Austria. In a first step, 30 to 35 people who live in polyamorous relationships, with their primary relationship partners living in and around Vienna will be questioned (by a method called “narrative autobiographical interviews”). In a second step, about 150 newspaper and magazine articles published since 2007 (representing about a third of all articles) that contain the keyword polyamory will be categorised and interpreted by a method called “qualitative content analyses”. The two outcomes will at the end be compared.  

What’s new and special: Until now, international research focus is the Anglo-American region; hardly any surveys have so far been conducted in and focussed on the German speaking area. The demand of recognition by a religious institution has up to now not been asked, and also queries on demands of legal rights are rare. The question of being poly as a sexual orientation has yet not been posed to the community, and an outcome in favour could fuel a discussion far beyond the academic discourse: Does the LGBT-acronym needs the expansion “P” for polyamorous living people?  

Selbermachen im Konsumzeitalter. Werte, Ordnungsvorstellungen und Praktiken zwischen den 1890er und den 1980er Jahren / Making Things Oneself in an Age of Consumption. Values, Social Orders, and Practices from the 1890s to the 1980s

Projektleitung: Reinhild Kreis (Mitantragsteller: Josef Ehmer)
Projektbeginn: Februar 2015
Projektende: Jänner 2016
Projektfinanzierung: FWF Lise-Meitner-Programm

Abstract:
Ein Produkt als „selbstgemacht“ zu erkennen, weckt unterschiedliche Assoziationen. Je nach Kontext gilt Selbstgemachtes als schön oder hässlich, gesund oder ungesund, modern oder altmodisch etc. und wird von industriell gefertigten Dingen abgegrenzt. Die Bewertung hängt dabei auch davon ab, wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Motiven heraus etwas selber macht oder nicht. So wird etwa Studierenden eine Ernährung auf der Basis von Fertigpizza eher nachgesehen als einer Mutter von kleinen Kindern.
Das Projekt untersucht Konsumentscheidungen und Praktiken dieser Art als Präferenzen im Umgang mit Zeit, Geld und materiellen Ressourcen. Warum entscheiden sich Menschen dafür, etwas selberzumachen statt die entsprechenden Produkte oder Dienstleistungen zu kaufen? Formen des Gütererwerbs und des Umgangs mit Dingen geben Auskunft über Wertehaltungen sowie soziale Ordnungsvorstellungen und die damit verbundenen Rollenerwartungen an Individuen und gesellschaftliche Gruppen. Die Industrialisierung erschütterte bisherige Vorstellungen und Praktiken von Produktion und Konsumption sowie traditionelle Zeitregimes. Mit dem rasch wachsenden Warenangebot sowie der Trennung von Erwerbsarbeit und Freizeit entstanden alternative Wege des Gütererwerbs im breiten Spektrum zwischen Selbermachen und dem Kauf eines Fertigprodukts. Vertreter aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur mussten – ebenso wie der Einzelne in seinem sozialen Umfeld – die Bedeutung von Fertigkeiten, Rollenbildern, sozialen Beziehungsmustern sowie überkommener Wissensbestände neu aushandeln, definieren und legitimieren.
Ziel des Projekts ist es, über die analytische Unterscheidung zwischen Selbermachen und Nicht-Selbermachen die Entstehung und Entwicklung der Konsumgesellschaft in Deutschland mit ihren sozialen und kulturellen Implikationen zu analysieren. Untersuchungszeitraum ist die Hochmoderne, in der sich rapide wandelnde politische, ökonomische, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen immer wieder Neuaushandlungen an der Schnittstelle von Konsum, Arbeit und Freizeit nötig machten. Die analytische Unterscheidung zwischen dem Selbermachen und dem Nicht-Selbermachen liegt quer zur bisherigen Konsumforschung und ermöglicht die systematische Untersuchung sich verändernder Sozialbeziehungen, Wissensbestände und Praktiken im Konsumzeitalter.
Das Projekt konzentriert sich auf zwei Untersuchungsfelder: Heimwerken und Nahrungsmittelzubereitung. Im Mittelpunkt stehen Diskurse und Praktiken in Umbruchszeiten und Zeiten intensivierter Debatten. Neben sozial- und kulturgeschichtlichen Ansätzen zieht das Projekt auch Theorien aus den Sozialwissenschaften, der Ethnologie sowie der Körpergeschichte heran, um Konsum, (Lohn)Arbeit und Freizeit anhand der beiden Untersuchungsfelder miteinander in Beziehung zu setzen.

Abstract:
In a mass consumer society, making things oneself is a very peculiar way of obtaining goods. Handmade and homemade things are easily recognized as such, and are subject to normative judgements. Depending on the context, they are regarded as being beautiful or ugly, healthy or unhealthy, modern or old-fashioned, and so on, but in any case distinct from mass produced items. Their evaluation depends on actors, circumstances, and motives for (not) engaging in do-it-yourself activities. Students, for example, are more easily forgiven for living off frozen pizza than a mother of small children.
This project investigates these kinds of consumer choices and practices as expressions of preferences in the use of time, money, and material resources. Why do people choose to make things themselves when they can simply buy most goods or services? Forms of obtaining goods provide insight about people’s values, ideas of the social order, and the role expectations inherent to it. Industrialization shook previous notions and practices of production and consumption as well as traditional time regimes to the core. New modes of production, the division between wage labor and leisure time, and the ever-growing range of available goods offered alternative ways of obtaining goods, ranging from making things oneself to the purchase of ready-made items in addition to a wide variety of hybrid forms. Individuals as well as representatives of society, politics, economy, and culture had to renegotiate the meaning of different forms of production, consumption, and uses of time in terms of social relations, role obligations, bodies of knowledge, and practical skills.
The project aims to contribute to a history of the social and cultural transformations in Germany as they related to the emergence of the consumer society. The study encompasses the age of “high modernity” which saw the emergence and breakthrough of consumer society. Ever changing political, economic, social, and cultural circumstances as well as scientific development frequently demanded the renegotiation of the interrelated fields of consumption, work, and leisure. The analytical distinction between the self-made and the not self-made cuts across traditional approaches and allows for the systematic exploration of social relations, bodies of knowledge, and practices in a consumer society.
The study focuses on discourses and practices in two fields, home improvement and food preparation. It emphasizes turning points and periods of intensified debate revolving around the poles of the self-made and the not self-made in both fields. The project is located in the field of social and cultural history but also draws on theories developed in material culture studies, ethnology, sociology, and the history of the body.

Die Konstruktion weiblicher und männlicher Homosexualität in österreichischen Gerichtsakten des 20. Jahrhunderts The Construction of Female and Male Homosexuality in Files of Criminal Court Procedures from the 20thCentury in Austria

Dissertationsprojekt von: Johann Karl Kirchknopf
Erstbetreuer: Franz X. Eder
Zweitbetreuerin: Ilse Reiter-Zatloukal (Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte)
Projektbeginn: Oktober 2014
Projektende: September 2017
Projektfinanzierung: Universität Wien (uni:docs Fellowship)

Abstract:

Gleichgeschlechtliche Sexualität wurde in Europa bis ins späte 20. Jahrhundert strafrechtlich verfolgt. Die historische Forschung hat sich bereits eingehend mit der Homosexuellenverfolgung durch das NS-Regime auseinandergesetzt und charakterisiert diese einhellig als die intensivste und grausamste Verfolgung von vor allem männlicher Homosexualität in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Die Jahrzehnte vor und insbesondere nach der NS-Zeit wurden noch kaum untersucht, was besonders mit Blick auf Österreich, wo anders als im Großteil der europäischen Staaten auch weibliche Homosexualität kriminalisiert wurde, ein Desiderat der internationalen Forschung darstellt. Die für die strafrechtliche Verfolgung gleichgeschlechtlicher Sexualität in Österreich relevante Gesetzes¬¬stelle war in ihrem Wortlaut unbestimmt und unverändert wie auch durchgehend in Kraft von 1852 bis 1971 (§ 129 Ib StG: „Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts“). Dennoch wurden bereits teils drastische Veränderungen in der Spruchpraxis der Gerichte etwa beim Regimewechsel 1938 festgestellt durch die Forschung. Es ist daher das Ziel dieses Dissertationsvorhabens, die gerichtliche Praxis der Strafverfolgung, die auf Grundlage dieser Gesetzesstelle stattfand, im gesamten 20. Jahrhundert anhand von 195 Akten zu Strafprozessen aus Wien, Oberösterreich, Steiermark und Tirol nach Kontinuitäten und Brüchen im Verlauf von fünf aufeinanderfolgenden politischen Systemen zu untersuchen, um Veränderungen im Verständnis der Gerichte davon, was „gleichgeschlechtliche Unzucht“ eigentlich ist, festzustellen. Im Fokus der Untersuchung liegen nicht sexuelle Handlungen zwischen Menschen, sondern die Praxis der staatlichen Sanktionierung einer bestimmten Kategorie sexueller Handlungen. Diese Praxis wird in Anlehnung an Pierre Bourdieus Analyse des juristischen Feldes als komplexer sozialer Vorgang verstanden, der die „unzüchtige“ Handlung und das „unzüchtige“ Subjekt erst benennt. Dieser Vorgang der Benennung wird daher in seinem komplexen sozialen Kontext nach einem auf Bourdieu zurückgehenden praxeologischen Ansatz, und auf Grundlage des vor Gericht stattgefundenen Verhandelns über das Lustempfinden – ein subjektives Tatbestandsmerkmal der „Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts“ – mittels diskursanalytischer Methoden (emotional turn) untersucht. Dieser kombinierte Ansatz ermöglicht es, das komplexe Konstrukt staatlich reglementierter Sexualität in seiner mehrdimensionalen sozialen Vernetzung zu erfassen und bestimmte Veränderungen in der sexuellen Kultur Österreichs im 20. Jahrhundert festzustellen.

Abstract:

Sexual acts between persons of the same sex were prosecuted in Europe until the late 20th century. Historians have already examined in detail the persecution of homosexuals conducted by the Nazi-regime, and they unanimously characterize it as the most intense and atrocious persecution of primarily male homosexuality in Europe throughout the 19th and 20th century. Hardly any research, however, has been conducted on the decades before and after the Nazi-period. This constitutes a desideratum especially regarding Austria, where, other than in most European countries, female homosexuality has also been criminalized.The passage of the Austrian criminal code, which formed the basis of the prosecution of homosexual acts, was undetermined and permanently as well as unchanged in force from 1852 to 1971, also during the Nazi-period [§ 129 Ib Strafgesetzbuch: „Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts“ (Fornication against nature with persons of the same sex)]. Nevertheless, drastic changes in the practice of this prosecution, for instance in the course of the regime change in 1938, were already detected by historic research. Hence it is the aim of this project, to examine the practice of Austrian criminal courts in prosecuting homosexual acts throughout the entire 20th century. For this purpose 195 files of criminal court procedures according to § 129 Ib of the criminal code will be studied from Vienna, Upper-Austria, Styria and Tirol in order to discover breaklines as well as continuities in this practice in the course of five subsequent political systems, and to detect changes in what the criminal courts conceived as “fornication against nature with persons of the same sex”. The focus of this study is laid on the practice of a state, sanctioning a certain category of sexual acts, and not on sexual acts themselves. This practice is, according to Pierre Bourdieu’s analysis of the juridical field, understood as a complex social process, which denominates the “act of fornication” and the “lewd subject”. The process of denomination will therefore be examined in its complex social context according to Bourdieu’s praxeological approach, and on the basis of the negotiation on sexual desire as it took place in court using discourse analysis (emotional turn) – sexual desire was determined as a central element of the crime of “fornication against nature with persons of the same sex” by the Supreme Court.This combined approach will provide an insight into the complex construction of state regulated sexuality in its multidimensional social context and to detect certain changes in the sexual culture of Austria in the 20th century.

Die Emotionalisierung nationaler Marken im österreichischen Werbefilm 1950-2000 / The Emotionalisation of National Brands in Austrian Commercials 1950-2000

Projektleitung: Franz X. Eder
Projektmitarbeiter: Karin Moser, Mario Keller
Projektbeginn: Jänner 2015
Projektende: September 2018
Projektfinanzierung: FWF (Projektnummer P 25771-G16)
https://oesterreichischer-werbefilm.univie.ac.at/home/

Abstract:


Mehr als jedes andere Medium versteht es der Film, auf verschiedensten sinnlichen Ebenen Botschaften zu vermitteln und Gefühle zu evozieren. Filmemacher und Werbestrategen setzen bewusst auf internalisierte kulturelle und filmische Codes, um Spannung und Aufmerksamkeit zu erzeugen sowie Nähe und Identifikationsraster zu schaffen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Film und Fernsehen zu den zentralen Leitmedien. Eine wissenschaftliche Untersuchung der nationalen Produktkommunikation nach 1945 erfordert demnach die Einbeziehung der Kino- und Fernseh¬werbung.
Im vorliegenden Projekt werden erstmals anhand neun ausgewählter Marken nationale Emotionalisierungsstrategien im österreichischen Werbefilm der Jahre 1950-2000 erforscht. Der Fall Österreich ist insofern von speziellem Interesse als die Ausbildung eines nationalen Selbst-verständnisses erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte. Dieser Prozess ging einher mit der Etablierung der Konsumgesellschaft sowie mit dem Aufschwung der österreichischen Werbe-filmproduktion.
Während zur österreichischen Nationsbildung bereits umfassende Studien vorliegen und auch erste wichtige Arbeiten zur nationalen Produktkommunikation erbracht wurden, ist der österreichische Werbefilm noch kaum ins Blickfeld der Forschung gerückt. Eine systematische Zusammenführung dieser drei Forschungsfelder ist bislang völlig ausgeblieben und wird erstmals in diesem Projekt geleistet. Ausgehend von der These, dass der österreichische Werbefilm in den Nachkriegsjahren nationale Mythen und Symbole gezielt aufgreift, um damit spätestens ab 1950 heimische Konsummarken zu bewerben, wird untersucht, welche filmischen Emotionalisierungsstrategien gewählt wurden, um solche Inhalte zu transferieren.
Als methodisch innovativ versteht sich dieses Projekt, da es den Transfers nationaler Inhalte im Werbefilm einerseits im historischen Kontext – unter Berücksichtigung ökonomischer, politischer, sozialer und kultureller Aspekte – erforscht und andererseits die dabei eingesetzten filmischen Emotionalisierungsstrategien strukturell und in Detailanalysen untersucht. Eine solche Forschungs¬perspektive ist sowohl in der österreichischen als auch in der internationalen Forschung bislang einzigartig. Sie verspricht nicht nur für die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte sowie die Filmwissenschaft in Österreich neue Erkenntnisse, sondern wird auch international wahrgenommen werden.

Abstract:

More than any other medium, the film knows how to communicate messages and evoke emotions at the various sensual levels. Film makers and advertising strategists consciously count on internalised cultural and film codes to create tension and raise attention as well as to create closeness and identification patterns. In the second half of the 20th century, film and TV became essential key media. A scientific study on the way in which products were communicated in Austria after 1945 thus requires taking cinema and TV commercials into consideration.
In the context of the suggested project, for the first time national emotionalisation strategies will be analysed as they were used for Austrian commercials from the years 1950-2000. The case of Austria is of particular interest in so far as the development of a national identity happened only after World War II. This process came along with the establishment of the consumer society as well as with the rise of the Austrian production of commercials.
Whereas there exist extensive studies on the development of Austrian national identity and there have also been some important works on the way in which national brands were communicated, the Austrian advertising films have hardly been noticed by research. For the time being, these three research fields have not been systematically brought together, something which will be done for the first time by this project. Starting out from the thesis that in the early post-war period Austrian commercials purposefully refer to national myths and symbols to use them for advertising Austrian brands since 1950 at the latest, it will be analysed which cinematic emotionalisation strategies were chosen to transfer such contents.
This project is considered to be methodically innovative, as it will research the transfer of national contents by way of commercials in the historic context on the one hand – while taking economic, political, social and cultural aspects into consideration – and on the other hand it will structurally and by way of detailed analyses investigate the employed cinematic emotionalisation strategies. Currently, such a research approach is unique both for Austrian and international research. It does not only promise to provide insights on Austria´s economic, social and cultural history as well as film studies but will also be perceived internationally.

Busy Tenants: Rural Land Markets North and South the Alps in Late-Medieval and Early-Modern Times / Ländliche Bodenmärkte nördlich und südlich der Alpen im Spätmittelalter und am Beginn der frühen Neuzeit

Projektleitung: Markus Cerman / Thomas Ertl
Projektmitarbeiter: Thomas Frank, Birgit Heinzle, Johannes Kaska, Samuel Nussbaum
Projektbeginn: Dezember 2013
Projektende: 30. April 2018
Projektfinanzierung: FWF (Projektnummer P 26071-G16)

Abstract:

In recent years, research in medieval and early modern European economic history has increasingly concentrated on the analysis of commercialization and the integration of product and factor markets. The results challenge traditional Malthusian-Ricardian theories based upon the lack of social and economic dynamics in pre-industrial European societies. According to commercialization theories, market integration fostered economic growth as well as social and institutional change. Against this backdrop, recent research has focused particularly on the late medieval establishment of rural land markets in Western Europe. Drawing from the new theoretical and methodological stimuli, this project aims to provide a Central European case study on late medieval land market development by means of a comparative approach between selected Austrian and Northern Italian rural regions. It will analyze (i) the institutional framework of rural land markets, (ii) patterns of transfer of tenant land and thus the establishment of land markets for tenant land and (iii) the resulting social change in late medieval rural societies (c. 1400-1550). The comparison will build upon a uniform analysis of two Austrian regions of traditional mixed agriculture and livestock-based mountain farming and an Italian region of grain cultivation and viticulture. The base of primary sources consists of seigniorial land transfer registers and charters as well as cross-sectional sources with information on rural social structure, tenant economic activities and on the land property and equipment held by tenant households. We shall also use sources on legal structures such as custumals and regulations. The studies will concentrate on a quantitative assessment of land transfer registers, which will yield results on the frequency and types of transfers and information on the individuals involved. Detailed information occasionally included in the transfer contracts will provide the basis for an additional qualitative analysis and an assessment of the influence of formal and informal institutions on the behaviour of tenant households in terms of land market activities. Moreover, scarce evidence of property inventories (such as in cases of debt litigations or inheritance regulations for under-age children) and tax records will allow scope for some tentative conclusions on factor endowment and prices. This combined quantitative and qualitative approach will culminate in an analysis at household and family level and will be an attempt to recreate the actors’ centred approach which characterizes the work of the project. The comparative approach between selected Austrian and Northern Italian regions will yield the economic, social and institutional factors which prove relevant, condusive or obstructive for the development of flexible land markets. The results will improve our understanding of the late medieval and early modern European land market by illustrating commonly shared patterns and regional differences.

Abstract:

Neuere Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa konzentrierten sich auf Einflüsse durch die zunehmende Kommerzialisierung und Integration von Produkt- und Faktormärkten. Ihre Ergebnisse hinterfragen traditionelle malthusianisch-ricardianische Zugänge, die vorindustriellen europäischen Gesellschaften mangelnde wirtschaftliche und soziale Dynamik unterstellten. Demgegenüber unterstreichen Kommerzialisierungstheorien die Bedeutung von Marktintegration für das Wirtschaftswachstum und den sozialen und gesellschaftlichen Wandel. Vor diesem Hintergrund wandten sich jüngste Forschungen v. a. der Etablierung von Bodenmärkten im spätmittelalterlichen Westeuropa zu. Ausgehend von deren theoretischen und methodischen Impulsen erarbeitet das vorliegende Projekt eine empirische Fallstudie zur Entwicklung von Bodenmärkten im spätmittelalterlichen Mitteleuropa mittels eines Vergleichs zwischen ausgewählten ostösterreichischen und norditalienischen Regionen. Das Projekt widmet sich (i) den institutionellen Rahmenbedingungen von Bodenmärkten in ländlichen Gesellschaften, (ii) den Mustern ländlichen Besitztransfers und damit der Entwicklung von Bodenmärkten für untertäniges Land und (iii) dem daraus resultierenden sozialen Wandel in spätmittelalterlichen ländlichen Gesellschaften im Zeitraum zwischen ca. 1400 und 1550. Der Vergleich beruht auf der Analyse zweier österreichischer Regionen traditioneller gemischter bzw. stärker bergbäuerlich geprägter Landwirtschaft sowie einer italienischen Getreide- und Weinbauregion. Die Quellengrundlage besteht aus grundherrlichen Besitztransferregistern, Kaufrechtsurkunden, notariellen Verträgen sowie Querschnittsdaten (Urbare, Steuerschätzungen), die Informationen zu ländlichen Sozial- und Wirtschaftsstrukturen, Bodenbesitz und Hofinventaren enthalten, außerdem aus normativen Quellen wie Weistümern und Statutensammlungen. Die Teilprojekte werden sich vordringlich mit einer quantitativen Auswertung von Besitztransferregistern beschäftigen, die Rückschlüsse auf die Häufigkeit und Typen von Landtransfers sowie auf die beteiligten Individuen erlaubt. In den Besitztransferverträgen mitunter enthaltene genauere Informationen bilden die Grundlage für eine weiter führende qualitative Auswertung, die auch eine Einschätzung der Einflüsse formeller und informeller Institutionen auf das Verhalten von Haushalten in Bezug auf Bodentransaktionen und Besitztransfers gestatten. Selten verfügbare aber umso wertvollere Quellen zu Besitz- (etwa in Fällen von Verschuldung oder der Erbregelung für minderjährige Erben) und Steuerinventaren werden vereinzelt Schlussfolgerungen zur Faktorausstattung und zu Faktorpreisen ermöglichen. Die Kombination quantitativer und qualitativer Zugänge ist für die Analyse auf Haushalts- und Familienebene entscheidend und garantiert den akteurszentrierten Zugriff, der das Projekt kennzeichnet. Die vergleichende Analyse ausgewählter österreichischer und norditalienischer Regionen wird genauere Rückschlüsse auf jene wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Faktoren erlauben, die für die Entwicklung flexibler Bodenmärkte grundsätzlich von Bedeutung waren oder sonst förderlich bzw. hinderlich wirkten. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts leisten durch die Hervorhebung von regionalen Gemeinsamkeiten und Unterschieden einen wertvollen Beitrag zum besseren Verständnis spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bodenmärkte in ländlichen Gesellschaften Europas.

Die Beherrschung der Aktiengesellschaft. Politische Ökonomie, Gesetze, Statuten und die wirtschaftlichen Effekte von Corporate Governance in Deutschland, ca. 1860-1940

Projektleitung: Carsten Burhop
Projektmitarbeiter: Felix Selgert, Angela Bol
Projektbeginn: Oktober 2012
Projektende: Juni 2016
Projektfinanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft 

Abstract:

Most studies of Corporate Governance focus on relatively restricted periods of investigation. This research project will be first to investigate the emergence, evolution, and economic impact of Corporate Governance from the mid-19th to the mid-20th century.The politics of Corporate Governance analyze how legal rules emerge in the political process. The economics of Corporate Governance investigates how suppliers of finance to a corporation secure themselves a return on their investment. Financiers write contracts and corporate charters to solve the principal-agent problem inherent in corporations whenever ownership and control are separated. These private actions are made within the room for manoeuvre determined by the legal and political system. The major focus and contribution of the project will be an examination of the political economy of Corporate Governance: Which interest groups affected the design of specific legal rules, what was the effect of the rules on economic outcomes on the firm level, and what was the feedback from the firm level to the political process. We will investigate the political processes underlying the emergence and legal set-up of key Corporate Governance legislation in Germany between the mid-19th and the mid-20th century. We will evaluate the impact of the government on Corporate Governance and of Corporate Governance on firm performance. The project bases upon newly-collected firm-level quantitative and qualitative data. From a methodological point of view, we will use econometrics and qualitative comparative case studies.

Aktienerstemissionen und Kapitalmarktentwicklung im Deutschen Reich,1871-1938

Projektleitung: Carsten Burhop
Projektmitarbeiter: Boris Gehlen
Projektbeginn: April 2008
Projektende: März 2014
Projektfinanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft 

Abstract:

Im Projekt wird gezeigt, dass Deutschland zwischen 1871 und 1913 ein duales Finanzsystem mit Banken und Aktienmärkten hatte. Dies widerspricht der herrschenden Historiographie, wonach Deutschland ein bankbasiertes Finanzsystem mit unterentwickelten Aktienmärkten aufgewiesen haben soll. Wir belegen, dass Aktienerstemissionsmärkte effizient waren: Die Zeichnungsrenditen waren niedrig, nahezu alle neu börsennotierten Aktiengesellschaften waren langfristig börsennotiert und die langfristige Performanz von jungen Aktiengesellschaften ähnelte derjenigen des Gesamtmarktes. Zwischen dem Primärmarkt für Aktien und dem Bankensystem bestand ein enger Zusammenhang, da die großen Universalbanken die meisten Aktienerstemissionen durchführten. Der Aktienprimärmarkt wurde zunehmend von einem Oligopol von Großbanken dominiert.
Des Weiteren soll untersucht werden, ob die o.g. Befunde, die für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gelten, für die Jahre 1914 bis 1938 bestätigt werden können oder ob es zu einer Transformation des deutschen Finanzsystems kam. Zunächst soll eine Datenbank aller Aktienerstemissionen erstellt werden. Es soll untersucht werden, ob und ggf. wie sich die Rolle der Großbanken veränderte. Es soll untersucht werden, ob die Hyperinflation oder das veränderte institutionelle Umfeld zum vermuteten Niedergang des Primärmarktes für Aktien beitrug.

Entsandte Expert/inn/en von Entwicklungshilfe und Sozialistischer Hilfe in Zeiten der Systemkonkurrenz

Projektleitung: Univ.Doz.Dr. Berthold Unfried
Projektmitarbeiter: Mag. Eric Burton (Fallstudie Tansania), Surafel Gelgelo Kumsa (Fallstudie Äthiopien)
Projektbeginn: September 2013
Projektende: August 2016
Projektfinanzierung: FWF
Projektnummer: P 25949-G16

Abstract:

Die beiden konkurrierenden Weltsysteme hatten je eigene Modelle von "Entwicklung" und entsprechende Formen von "Entwicklungshilfe" hervorgebracht, die universelle Geltung beanspruchten. In dem Projekt soll der "Entwicklungshilfe"sektor der beiden Konkurrenzsysteme auf der Ebene der im Bereich der "technischen Hilfe" (heute: "technische Zusammenarbeit") oder, in der Terminologie der DDR, der "wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit" und "kulturell-wissenschaftlichen Zusammenarbeit" in die Einsatzländer entsandten Expert/inn/en, Berater, Spezialisten verglichen werden.
Im Zentrum des Projekts steht ein Vergleich zwischen entsandten Entwicklungsexpert/inn/en der beiden deutschen Staaten. Vergleichsebenen sollen durch folgende Leitfragen eröffnet werden: Welche Typen von Experten kamen zum Einsatz, welche Ziele verfolgten diese, zu welchen Aufgaben wurden sie eingesetzt? Was war der Rahmen erwünschter und vorgeschriebener Verhaltensweisen? Welche Lebensweisen entwickelten diese global mobilen Personen? Wie unterschieden sich ihre jeweiligen Lebensweisen in den Einsatzländern? Welche Gemeinsamkeiten ergaben sich auf Basis eines gemeinsamen Sockels an Einstellungen und Praktiken von "Entwicklung" über die Systemgrenzen hinweg? Ergaben sich ähnliche Probleme des Transfers und der interkulturellen Kommunikation? Welche lebensweltlichen Transfers wurden bewerkstelligt? Welchen Einfluss hatte die Tätigkeit, andere Menschen zu "entwickeln", auf die "Selbstentwicklung" der Entwicklungsexpert/inn/en?
Spezielle Aufmerksamkeit soll den Entwicklungsexpert/inn/en als Vektoren der Verbreitung von Wissen und Einstellungen, von kulturellen Praktiken und von Lebensformen gewidmet werden. Im Zuge des Vergleichs soll herausgearbeitet werden, in welchen Bereichen und wie die praktische Tätigkeit von Entwicklungsexperten vor Ort Transfers bewerkstelligte und wie dieser Prozess auf sie zurück wirkte. Das Projekt konzentriert sich exemplarisch auf die Entwicklungspolitik der BRD und DDR mit Ländern Afrikas und Lateinamerikas. Fallstudien sind für Äthiopien und Tansania geplant. Der zeitliche Rahmen reicht vom Beginn der 1970er Jahre bis zum Ende des "sozialistischen Weltsystems" 1990.

Experts in "Development" and "Socialist Aid" in the era of global competition between the political systems "West" and "East"
Project leader: Univ.Doz.Dr. Berthold Unfried
Collaborators: Mag. Eric Burton (case study Tansania), Surafel Gelgelo Kumsa (case study Ethiopia)

Abstract:Both competing world systems had developed their own concepts of "development" and corresponding practices of "development assistance" claiming universal validity. This project aims to compare the development sector of both competing systems in the last phase of the Cold War on the level of the experts, consultants, and specialists sent to recipient countries in the frame of "technical assistance" in the FRG, respectively "scientific-technical cooperation" and "cultural-scientific cooperation" in the terminology of the GDR. Core of the project is a comparison between development experts of the two German states. Levels of comparison shall be opened by leading questions: What types of experts were employed? Which tasks were they assigned to? Which aims and objectives did they pursue? Which lifestyles did these itinerant people West and East adopt in the countries of assignment? What was the range of officially prescribed and tolerated behaviours and everyday practices? Which attitudes, and practices vis-à-vis development did they have in common across system boundaries? Did they face similar problems in terms of transfer, and inter-cultural communication? Which cultural transfers occurred in daily life? Which role played the task to "develop" other people for the experts’ own personal "development"?The comparative approach of this project will highlight in which fields and how experts in the field operated transfers and how this process influenced them on their part. The idea is to compare the transfer of attitudes and practices on the ground. Special attention shall be given to the development experts’ role in the dissemination of knowledge, attitudes, cultural practices, and lifestyles.This project focuses on the development policies of the two Germanies in countries in Africa (planned case studies: Ethiopia and Tanzania) and Latin America from the 1970s to the end of the socialist world system in 1990.

Die Mobilitätskontrolle von osmanischen Migranten in der Habsburgermonarchie, 1739-1791. Ein Schritt zu moderner Staatlichkeit?

The Control of Mobility of Ottoman Migrants in the Habsburg Monarchy, 1739-1791.
The Rise of the Modern State?

Projektleitung: Josef Ehmer
Projektmitarbeiterin: Jovan Pešalj, Sabine Sutterlüti
Projektbeginn: Juli 2013
Projektende: Juni 2015
Projektfinanzierung: FWF Der Wissenschaftsfonds

Abstract:

Im 18. Jahrhundert setzte die Habsburgermonarchie eine Reihe von Maßnahmen zur Kontrolle der Mobilität von Migranten aus dem Osmanischen Reich. Diese Maßnahmen leiteten die Entwicklung von umfassenden Mobilitätskontrollen ein, die in vieler Hinsicht (Zentralisierung, Systematik, Einheitlichkeit, Individualisierung) nationalstaatliche Praktiken des 19. Jahrhunderts vorwegnahmen. Die Einführung staatsweiter Mobilitätskontrollen sollte deshalb früher angesetzt werden, als bisher angenommen wird. Das Projekt untersucht, wie und warum die habsburgischen Behörden Migranten aus dem osmanischen Reich so umfassend kontrollierten. Es geht von der Annahme aus, dass sich die habsburgisch-osmanische Grenze in zwei Aspekten von anderen frühneuzeitlichen Grenzen unterschied: Zum einen durch die lange Tradition und insbesondere die im 18. Jh. erfolgende Modifikation der Militärgrenze; und zum anderen durch die Errichtung eines Seuchenkordons. Beide Institutionen bildeten Grundlagen für die Entwicklung einer modernen Mobilitätskontrolle und einer linearen Grenze. Der Zugriff der habsburgischen Zentralbehörden auf einreisende osmanische Untertanen erleichterte im Weiteren die Überwachung ihrer Niederlassung und ihrer Mobilität innerhalb der Monarchie. Das Projekt kombiniert drei Forschungsfragen. Zum Ersten verfolgt es die Herausbildung einer stabilen und linearen Grenze nach der Befriedung der habsburgisch-osmanischen Beziehungen. Die Einrichtung eines permanenten Pestkordons schloss strikte Grenzkontrollen ein. Fallweisen Seuchenkontrollen in der Quarantänestationen entwickelten zu einer systematischen Immigrations- und Einfuhrkontrolle. Zweitens untersucht das Projekt die Überwachung von osmanischen Untertanen innerhalb der Monarchie, die zur Führung von Pässen verpflichtet waren und in speziellen Registern erfasst wurden. Insbesondere die Entwicklung der Reisedokumenten und Identifizierungsmethoden lässt moderne Formen der Mobilitätskontrolle erkennen. Schließlich analysiert das Projekt die Bedeutung all dieser Kontrollen für die habsburgische Bevölkerungspolitik im Allgemeinen. Dazu werden die zahlreichen Zählungen und Erhebungen der osmanischen Immigranten ebenso herangezogen wie die Gesetze und Dekrete, die ihren Status als Ausländer bzw. ihre Einbürgerung regelten. Mit allen diesen Maßnahmen stärkten die zentralen Behörden ihre Autorität gegenüber den lokalen Instanzen und den Ländern, und entwickelten Richtlinien für eine staatsweite Immigrationspolitik. Das Projekt beruht überwiegend auf der Auswertung von administrativen Quellen von zentralen Behörden, Ländern und lokalen Instanzen, die sich heute in Archiven in Österreich, Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien befinden. Zusätzlich werden unveröffentlichte zeitgenössische Berichte über den Pestkordon herangezogen. Aufgrund der Vorarbeiten lässt sich die Hypothese formulieren, dass die Kontrolle der osmanischen Immigranten in der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts die Entstehung einer modernen gesamtstaatlichen Migrationspolitik förderte – lange vor den westlichen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts. Das Projekt ist gefördert vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) von Juni 2013 bis Juli 2015. Der Projektleiter ist Josef Ehmer, die Untersuchung wird von Jovan Pešalj durchgeführt.

Abstract:

During the eighteenth century, the Habsburg Monarchy introduced a series of measures to control the mobility of Ottoman migrants. These measures triggered the development of more comprehensive mobility control policies, sharing many characteristics (centralized, systematic, uniform, individualized) with practices introduced by nation states in the nineteenth century. This suggests that the introduction of modern statewide mobility control policies should be placed further back in time.This project examines how and why the Habsburg authorities targeted Ottoman migrants so early. It argues that the Habsburg-Ottoman border differed from other early modern borders in two respects: firstly, the long tradition and particularly the eighteenth-century transformation of the Military Border (Militärgrenze), secondly the establishment of a permanent Sanitary Cordon. Both institutions provided the basis for the emergence of modern mobility control measures and the concomitant advancement of a linear boundary. The immediate jurisdiction of the Habsburg Court over the Ottoman migrants encouraged the supervision of their residence and travel inside the Monarchy. The project is organized around three research areas. First, it follows the advance of a sacrosanct linear border after the pacification in the Habsburg-Ottoman relations. With the permanent Sanitary Cordon, a strict control of mobility was introduced on the borders. The mobility control practices developed from the ad hoc starting point of epidemics control to more planned and systematic economic and immigration measures. Second, the project examines the mobility control measures introduced to supervise the Ottoman migrants inside the Monarchy, such as the mandatory possession of passports, as well as the creation of special registers of Ottomans. The evolution of travel documents and identification techniques indicates the creation of a modern comprehensive mobility control policy. Finally, the project analyzes the place of policies toward Ottoman migrants in the Habsburg general population policy. It examines surveys and censuses of Ottomans, as well as laws and decrees that regulated their foreign status and encouraged naturalization. Through interaction with local and provincial authorities, the central government expanded its authority to set guidelines for a statewide Habsburg immigration policy. The project will be primarily based on the research of central, provincial and local records of Habsburg administration in Austria, Hungary, Croatia, Serbia and Romania. It will complement this with the investigation of unpublished eighteenth-century reports and descriptions of the Sanitary Cordon. The analysis suggests that Habsburg mobility control measures toward Ottoman migrants encouraged the formulation of more general and centralized Habsburg policies. This specific background explains the arrival of a modern statewide immigration policy predating the nation state and outside of the typical nation state model.The project is supported by the Austrian Scientific Foundation (der Fond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung – FWF) from July 2013 to June 2015. The leader of the project is Josef Ehmer and the principal investigator Jovan Pešalj.

Seidenfieber. Luxusstoffe, schöne Leute und großes Kapital im mittelalterlichen Europa

Projektleitung: Thomas Ertl
Projektmitarbeiterin: Christiane Martina Elster
Projektbeginn: April 2010
Projektende: März 2014
Projektfinanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft

Abstract:

Im Mittelpunkt des Projekts steht der Rohstoff Seide. Ein Ziel der Untersuchung ist eine Darstellung von Herstellung, Handel und Verwendung von Seidenstoffen im mittelalterlichen Europa. Trotz zahlreicher Einzelstudien aus kunsthistorischer, textilkundlicher und wirtschaftshistorischer Perspektive wurde eine solche Gesamtdarstellung bisher nicht unternommen. Die Fragestellung legt es nahe, die Entwicklung vom hohen Mittelalter um das Jahr 1000 bis an die Wende zur Neuzeit um 1500 zu verfolgen. Ein zweites Ziel führt innerhalb dieses weiten Rahmens zu einer Schwerpunktsetzung im 14. und 15. Jahrhundert. In dieser Zeit gaben geistliche und weltliche Fürsten in Westeuropa besonders große Summen für seidene Textilien aus, welche die italienischen merchant-bankers in Lucca, Florenz und anderen italienischen Kommunen weben ließen – unter ständiger Berücksichtigung des vorherrschenden Publikumsgeschmacks südlich und nördlich der Alpen.

Die Wechselwirkungen von großem Kapital, ästhetischen Wandlungen und modernen Handelstechniken werden im spätmittelalterlichen Seidengewerbe besonders deutlich sichtbar. Eine Geschichte der Seidenindustrie ermöglicht es daher, sozioökonomische und künstlerisch-kulturelle Verschiebungen in der westeuropäischen Gesellschaft des späten Mittelalters in ihrem wechselseitigen Zusammenhang darzustellen. Auf dieser Grundlage soll abschließend ein Blick auf die Verarbeitung und Verwendung von Seide in China und im Nahen Osten dazu beitragen, spezifische Entwicklungsmuster der europäischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu veranschaulichen.

Handling Diversity. Medieval Europe and India in Comparison (13th-18th Centuries CE)

  • Projektleitung: Thomas Ertl
  • Projektmitarbeiter: Gijsbert Kruijtzer, Uros Zver
  • Projektbeginn: Mai 2012
  • Projektende: April 2015
  • Projektfinanzierung: WWTF

Abstract:

The scrutiny of diversity – cultural, religious, ethnical, and political – is one of the main fields of contemporary research on European history. For the last ten years many aspects of these instances of diversity within Europe and at its frontiers have been studied by various scholars and research initiatives. As a result of this debate, the perception of medieval Europe has changed considerably, too. Medieval Europe is now considered as a region of heterogeneity, shaped by steady processes of integration and disintegration. There has been a second shift in medieval Europe’s perception; from a traditional point of view, Europe’s supposed singularity in the world has been taken for granted. In contrast, current works are criticizing this unique status as a global exception. Several comparative studies putting Europe in its Eurasian and global context have recently been published. However, these varying themes have never been combined into one research program that focuses on the multifaceted ways of handling diversity.

The planned project will combine the question of diversity with a comparative perspective. In the global context, the Indian subcontinent is an ideal region for comparison due to its interior variety in cultural, religious, ethnical, and political terms. Thus, like Europe, India was not a unified entity in the period from 13th to 18th centuries CE. The similarities between Europe and India are therefore obvious, but did the historical development in both regions follow the same path towards similar results? There are several essential questions, which have to be posed in order to tackle the issue: Was the perception, the tackling, and the result of cultural contact realized in the same way? Was handling diversity in India similar to handling diversity in Europe? Moreover, what can we learn about the two world regions by comparing the specific forms of handling diversity? Are there European or Indian patterns of dealing with heterogeneity? There is one key question of contemporary global history strongly related to these questions, namely how the transition of different world regions towards Early Modernity took place.

Jewish migration and diversity in Vienna and Berlin (1881 – 1918)

  • Projektleitung: Ingo Haar
  • Projektmitarbeiter: Wilko Schröter
  • Projektbeginn: 1. Dez. 2010
  • Projektende: 28. Feb. 2013

Projektpartner:
Josef Ehmer, Universität Wien, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Andreas Weigl, Ludwig Boltzmann Institut für Stadtgeschichtsforschung
Niko Wahl, kollwitz/monefiore/wahl
Frans van Poppel, Netherlands Interdisciplinary Demographig Institute (NL)
Wolf-Erich Eckstein, Israelitische Kultusgemeinde Wien

Homepage: http://www.univie.ac.at/jewishmigration/

Abstract:

Das Projekt zielt auf die vergleichende Analyse und Beschreibung von Integrations- und Transferprozessen in den urbanen Gesellschaften in Wien und Berlin ab. Es werden dabei zwei Erkenntnisziele verfolgt: zum einen die der soziologischen Migrations- und Integrationsforschung für das 19. Jahrhundert, dass im Raum der modernen Metropolen nicht nur Platz für soziokulturelle „Ausgrenzung“ und staatlich angeleitete „Assimilation“, sondern auch Raum für soziale Segregation und kulturelle Vielfalt durch Zuzug und Bildung von Milieus von Migranten ist; zweitens, dass das Konstrukt des Nationalismus in der Moderne um 1900 im deutschsprachigen Raum auf rassistischen Fremdkonstruktionen basierten, die die Gesellschaft unter Markierung des Eigenen und des Fremden zu homogenisieren versuchten.

Zusätzlich wird eine familien-demographische Analyse der Jüdischen Gemeinde in Wien mittels der Matriken der Israelischen Kultusgemeinde (IKG) der Stadt Wien von 1826-1938 als Hauptdatenquelle durchgeführt. Die Wiener Juden waren meist über große Entfernungen durch geschäftliche und Heiratsnetzwerke verbunden. Auf diese Weise kamen die Mitglieder der jüdischen Gemeinde eher zu neuen Ideen (von den Juden der Peripherie) als die dichter vernetzten und abgegrenzten Christen. Diese Netzwerke waren sowohl sozial als auch kulturell heterogener und können durch „schwache Bindungen“ charakterisiert werden.

Scholarship and Politics, Reshaping South-Central Europe, 1939-1945

  • Projektleitung: Josef Ehmer
  • Projektmitarbeiter: Michael Wedekind
  • Projektbeginn: 1. März 2011
  • Projektende: März 2014
  • Projektfinanzierung: FWF

Abstract:

The project investigates population science and population policy in Fascist Italy and National Socialist Germany. By taking a comparative approach, it explores theoretical foundations and undercurrents of population policy and the influence they had on policymaking. It studies the implementation of these concepts and strategies in political settings, as well as the concrete impact they had on the population as a subject of government. By investigating the interface between policymakers, scholars brought in as policy consultants, and administrative technocrats, as well as by shedding light on the interests and intentions of each of the protagonists involved, the research addresses the crucial issue of developing and providing expert knowledge for political use. The project is meant to be a case study of the relationship between scholarly communities and politicians as “resources for each other” (M. Ash). It, therefore, contributes to 20th-century history of the humanities and social sciences in Italy and Germany.

The project will also permit investigation into similarities, differences, and specific characteristics of both Fascist and Nazi techniques of social engineering. In particular, the project focuses on Italian and German expansion, occupation, and resettlement programs in South-Central Europe (Slovenia, Dalmatia, and Northern Italy)—arenas of ethnopolitics and expansion of both powers—between 1939 and 1945.

The project deals with current research agendas on Fascism (role and force of racism; Italy as an occupying power during the Second World War; theoretical backgrounds of Italian ethnopolitics and social engineering) and National Socialism (role of social sciences and humanities in providing knowledge usable for Nazi policymakers and Nazi rule over Europe). The German case study provides a framework of analysis that will predominantly highlight the role played by Austrian scholarship and National Socialism.

The research project will deal successively with the Italian and German cases and, finally, perform a comparative analysis. In different stages, it will study the scholarly community among social sciences and humanities of the 1930s and early 1940s, the administrative and political technocrats concerned with spatial reorganization and population policy, and the concrete interventions for socio-ethnic reorganization in South-Central Europe.

The Production of Work. Welfare, Labour-Market and the Disputed Boundaries of Labour (1880-1938)

  • Projektleitung: Mag. Dr. Sigrid Wadauer
  • Projektmitarbeiter: Mag. Dr. Alexander Mejstrik, Mag.a Irina Vana (Dissertantin), Dipl. Sozialwiss. Jessica Richter, MSc (Dissertantin), Mag. Peter Angerer, Mag. Dr. Thomas Buchner, Mag. Sonja Hinsch (Dissertantin), Mag. Georg Schinko (Dissertant)
  • Projektbeginn: Februar 2008
  • Projektende: Oktober 2013
  • Projektfinanzierung: FWF Der Wissenschaftsfonds, START-Programm Y367-G14; European Research Council, ERC Starting Grant No. 200918
  • Projektnummer: Y367-G14

Abstract:

Moderne staatliche Sozialpolitik etablierte seit dem späten 19. Jh. Versicherungsschutz in bestimmten formalisierten Fällen von Nicht-Arbeit: im Alter, bei Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit. Damit gewann auch die Kontrolle von Anspruchsberechtigungen, von nationalstaatlicher Zugehörigkeit, Arbeitswilligkeit oder Arbeits(un)fähigkeit an Bedeutung. Die neuen Regulierungen von Arbeit und Nicht-Arbeit manifestierten neue Vorstellungen von Arbeit und Beruf. Mit Bezug auf die veränderte gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit und auf neue soziale Rechte erlebten zugleich die Debatten über Landstreicherei, Bettelei und Arbeitsscheu einen neuen Aufschwung. Wem sollte geholfen werden? Wer schädigte hingegen durch Verweigerung von Arbeit das Gemeinwohl? Nicht jede Art, ein Einkommen zu finden, wurde gleichermaßen als Arbeit anerkannt. Viele Aktivitäten changierten zwischen Arbeit, Arbeitssuche, Nicht-Arbeit, Bettelei und Vagabundage. Sie wurden verdächtigt, Deckmantel für Arbeitsscheu oder „negative Arbeit“ zu sein und gehörten damit zum umstrittenen Grenzbereich zwischen Wohlfahrt, Arbeitsmarkt und Kriminalität. Formen ungelernter und temporärer Lohnarbeit wurden in diesem Kontext (weiter) marginalisiert.

Die Erosion von Normalarbeitsverhältnissen und die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse sind Gegenstand gegenwärtiger politischer und sozialer Debatten. Das Projekt wird historisch untersuchen, wie und gegen welche anderen Formen die letztlich dominanten Konzepte von Lohnarbeit und Beruf etabliert wurden. Es untersucht die umstrittenen Grenzen von Arbeit. Die Untersuchung konzentriert sich auf Österreich 1918-1938. Darüber hinaus wird jedoch ein internationaler Vergleich angestrebt und werden wesentliche Entwicklungstendenzen seit dem späten 19. Jahrhundert berücksichtigt. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht damit der Zusammenhang prekärer Formen von Lohnarbeit und Nicht-Arbeit mit der Organisation von Arbeitsmarkt, Arbeitsvermittlung und Arbeitssuche. Die Analyse beginnt mit Grenzfällen von Arbeit, untersucht diese jedoch nicht isoliert. Wie variierten die Konzepte von Arbeit und ihre Verbindlichkeit nach Alter, Geschlecht und Ethnizität? Auf welche Weisen wurde definiert, welche Praktiken Arbeit und welche Nicht-Arbeit waren? Wie wurden diese Unterschiede und Hierarchien praktisch durchgesetzt? Wie wurde die Verpflichtung zur Arbeit gehandhabt und durchgesetzt? Besonderes Interesse gilt dem Wandern von Arbeitslosen sowie die damit verbundenen Formen von Integration, Unterstützung und Kontrolle.

Bislang wurden die Veränderungen von Arbeit und die Entstehung staatlicher Wohlfahrtspolitik meist aus der Perspektive von Staat und Politik beschrieben. Das Projekt nimmt eine andere Perspektive ein: Es betrachtet dominierte, „marginale“ Perspektiven und Praktiken als weitgehend vernachlässigtes, aber konstitutives Moment dieser historischen Veränderung.  Sie müssen daher wesentlich in die Analyse mit eingeschlossen werden. Wie haben jene, die arbeiten oder nicht arbeiten zu den neuen Konzepten von Arbeit in Konsensus und Konflikt beigetragen? Das Projekt wird somit die praktische Wirksamkeit von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik untersuchen und ein besseres Verständnis von Kontrollen der Binnenmigration erlauben. Damit wird das Projekt in vielerlei Hinsicht wissenschaftliches Neuland erschließen und neue Perspektiven auf die Geschichte der Arbeit und des Sozialstaates eröffnen.

Jewish Migration and Integration in Vienna and Berlin (1867/71 – 1918). A Comparative Research

  • Projektleitung: Dr. Ingo Haar
  • Projektbeginn: 01.02.2007
  • Projektende: 31.10.2010
  • Projektfinanzierung: Lise-Meitner-Programm des FWF

 

Abstract:

Das Projekt zielt auf die komparative Erforschung der jüdischen Zuwanderung und Integration in den Metropolen des Habsburgerreiches und des Deutschen Reiches von 1867/1871 bis 1918 ab. Dies wird durch einen europäischen Vergleich der städtischen Integrationskulturen Wiens und Berlins erreicht. Konzeptionell geht es dem Projekt um die Frage, wie sich jüdische Zuwanderer in den metropolitanen Milieus des 19. Jahrhunderts integrierten, welche sozialen, kulturellen und politischen Barrieren sie überwinden mussten und welche Erfolge oder Niederlagen sie bis 1918 erzielten. Eine übergeordnete Ebene bildete die These der Nationalismusforschung, dass die Moderne zwar die religiöse Eigenständigkeit der jüdischen Minderheit akzeptierte, aber um den Preis einer starken Anpassung an christlichen-katholische beziehungsweise protestantische Milieus. Da die Moderne untrennbar mit der Nationalstaatsbildung in Europa und deren kultureller Ambivalenz verbunden war, geht es diesem Projekt nicht mehr um die Frage, ob, sondern wie die Juden und die jüdischen Zuwanderer in den Nationskonstrukten der gesellschaftlichen Teilgruppen, die die städtisch-bürgerliche Kultur repräsentierten, als „Fremde“ und „Eigene“ integriert oder ausgegrenzt wurden.

Gedächtnisort Historisches Museum

  • Projektleiter: Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller
  • Betreuer der Dissertation: Univ.-Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner
  • Projektmitarbeiterin: Mag. Andrea Brait
  • Projektbeginn: 01.03.2008
  • Projektende: 28.02.2010
  • Projektfinanzierung: Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), DOC-Programm
  • Projektnummer: 22381

 

Abstract:

Viel wird vom Bedeutungsgewinn von Geschichtsmuseen und historischen Ausstellungen in den letzten Jahr(zehnt)en gesprochen, der unter anderem mit den Stichworten ‚Gedächtniskonjunktur’ und ‚Museumsboom’ beschlagwortet werden kann. Demgegenüber steht die Tatsache, dass die großen historischen Museen im deutschsprachigen Raum noch kein Objekt eines größeren Forschungsprojekts waren.

Das die Forschung leitende Erkenntnisinteresse gilt der Definition von Historischen Museen als Gedächtnisorte. Das Museum wird dabei als Schauplatz der Identitätskonstruktion verstanden – als Ort, wo kollektives und kulturelles Gedächtnis aufbewahrt und weitergegeben werden. Ausgehend von theoretischen Überlegungen zu Formen und zu Trägern des Gedächtnisses, speziell zu Gedächtnisorten, stellt sich die Frage, inwiefern diese Begrifflichkeiten auf historische Museen anzuwenden sind beziehungsweise auf die darin ausgestellten Exponate, die sich in einer spezifischen Anordnung befinden und mit einer speziellen Aussage verbundenen sind.

Im Zentrum des Forschungsinteresses stehen jene Museen in Österreich und Deutschland, welche versuchen, die Geschichte einer ‚Nation’ darzustellen. Dabei wird unter anderem der Frage nachgegangen, welchen Beitrag diese Museen zur Ausbildung und Festigung einer nationalen Identität leisten beziehungsweise inwiefern sie ein einseitiges amtliches Geschichtsbild vermitteln. Als konkrete Forschungsobjekte werden insbesondere das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Heeresgeschichtliche Museum in Wien sowie die Debatte um ein neues österreichisches (Zeit-)Geschichte-Museum herangezogen. Ein Vergleich der deutschen mit der österreichischen Museumslandschaft ist deshalb interessant, weil der museale Umgang mit der jüngsten Vergangenheit in diesen beiden Staaten unterschiedlicher nicht sein könnte: Während es in Deutschland zwei Museen gibt, in denen der Zeitgeschichte breiter Raum zur Verfügung steht, befindet sich in Österreich die flächenmäßig größte zeitgeschichtliche Ausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum, die mit dem Jahr 1945 endet.

Ziel des Projekts ist ein vergleichender Überblick über die Unterschiede in den Museumslandschaften in Österreich und Deutschland, mit Blick auf die unterschiedliche Entwicklung nach 1945. Insbesondere wird untersucht, ob die deutschen Museen Vorbilder für ein österreichisches Haus sein können. Zusätzliches Augenmerk wird auf die in Österreich noch kaum entwickelte Besucherforschung gerichtet.