Das Verhältnis Großbritanniens zum europäischen Kontinent ist von beinahe traditioneller Ambivalenz gekennzeichnet. In diesem Vortrag steht die handelspolitische Perspektive im Vordergrund: Mit dem Ende der Getreideschutzpolitik 1846 läutete Großbritannien eine Epoche des Freihandels ein, die in Europa bald Nachahmer fand, zunächst in der Liberalisierung von Getreideimporten und Hafenzugängen und ab dem Cobden-Chevalier-Vertrag auch im Handel mit Industriegütern, die vor allem innerhalb des sich industrialisierenden West- und Zentraleuropa ausgetauscht wurden. Gleichzeitig spielte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Rivalität um Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung und in der Schaffung einer von Emigranten geprägten ‚britischen Welt‘ eine wichtige Rolle im Ausbau des British Empire und in der Folge im britischen Selbstverständnis. Spätestens in den frühen 1900er Jahren, besonders aber in Folge der Weltwirtschaftskrise kamen Rufe nach handelspolitischer Bevorzugung dieser Gebiete in Form „imperialer Präferenzen“ auf, die sich im Import Duties Act von 1932 und den Ergebnissen der Ottawa-Konferenz manifestierten. Diese Präferenzen überdauerten den 2. Weltkrieg und fanden Eingang in das GATT, in modifizierter Form sogar über das Ende des britischen Kolonialreichs hinaus. Dessen Ende fällt zeitlich mit der Vertiefung der europäischen Integration durch die Römischen Verträge zusammen und den folgenden Diskussionen um einen britischen Beitritt, der 1973 Wirklichkeit wurde und das Vereinigte Königreich zum Teil des Europäischen Zollgebiets machte – bevor die britische Bevölkerung 2016 mehrheitlich dafür stimmte, den Beitritt zur Europäischen Union rückgängig zu machen und möglicherweise auch aus der Europäischen Zollunion auszusteigen. Markus Lampe hat detaillierte Studien zum Cobden-Chevalier-Vertrag und zu den Auswirkungen der imperialen Präferenzzölle von 1932 vorgelegt und wird versuchen, diese in den weiteren Kontext einzuordnen.