Kategorisieren und Registrieren von Mobilität und Aufenthalt
Projektnummer 10.55776/PAT9328724
Details (FWF-Website)
Das Projekt befasst sich mit dem Meldewesen in Österreich von ca. 1850 bis 1938. Staatliche Behörden betrachteten Volkszählungen, Pass- und Meldewesen als sich ergänzende Maßnahmen, die dazu dienen sollten, das notwendige Wissen zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit zu erlangen. Mit der Liberalisierung des Passwesens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schien die vollständige und permanente Erfassung aller Personen im Staatsgebiet – Einheimischer wie Fremder – umso dringlicher. Gleichzeitig unterwarf das Meldewesen verschiedene Kategorien der Bevölkerung unterschiedlich strikten Regeln, es erzeugte Unterschiede nicht nur in Hinblick auf Zugehörigkeit, sondern auch hinsichtlich des sozialen Status der Staatsangehörigen, des Kontexts und der Art des Aufenthalts. Es differenzierte verschiedene Arten der Mobilität und war die Grundlage, um Wanderungen oder Fremdenverkehr statistisch darzustellen.
Das Meldewesen wurde häufig als „Seele der Polizei“ bezeichnet, dabei beruhte es wesentlich auch auf den Meldungen der Gemeinden, von Hausbesitzer:innen, Vermieter:innen, Hausmeister:innen, Gastwirt:innen, Arbeitgeber:innen, privaten Gastgeber:innen, Vorständen von Hospitälern und Klöstern etc. Das praktische Funktionieren und das (zeitgenössisch häufig beklagte) Versagen des Meldesystems beruhte somit auch auf der Bereitschaft und dem Interesse all derer, die daran beteiligt waren, korrekt zu registrieren und zu melden, registriert zu werden oder auch dies zu vermeiden.
Das Meldewesen diente nicht bloß der staatlichen Verwaltung oder polizeilichen Überwachung. Die Dokumentation des Aufenthalts war relevant, wenn Personen Ansprüche auf das Heimatrecht in einer Gemeinde, damit verbunden auf ungestörten Aufenthalt und Armenunterstützung, erlangen wollten, oder wenn Gemeinden dies verweigerten. Bei der Ausübung des Wahlrechts spielten die Staatsbürgerschaft und das Geschlecht, aber auch die Dauer der Ansässigkeit eine Rolle. Meldeinformationen dienten der polizeilichen Fahndung und ermöglichten es aber auch Gläubigern oder Angehörigen, Personen ausfindig zu machen. Am Melde- und Passwesen wurden Fragen von Privatheit und „Datenschutz“ verhandelt. Sich zu registrieren und Informationen preiszugeben, wurde oft als Zwang und Zumutung beschrieben. Gleichzeitig hoben Reiseführer bemerkenswerte Gästebücher hervor, und indem man sich eintrug, dokumentierte man den Status als Kurgast, Alpinist:in oder Pilger:in.
Aufbauend auf das FWF-Projekt „Ko-Produktion und Gebrauch von Identitätsdokumenten“ beleuchtet das Projekt die historische Entwicklung, die regionale und soziale Ausdifferenzierung dieser bislang wenig untersuchten Registrierungspraktiken, es berücksichtigt nationale und transnationale Debatten. Der Fokus der Forschung liegt darauf, die oft ambivalenten Interessen und das praktische Zusammenspiel der involvierten Parteien zu untersuchen und die alltäglichen Interaktionen und Auseinandersetzungen im Kontext des Meldewesens zu rekonstruieren.